Spielen als Form der Therapie – Wie und warum es hilft

Erkundung der Welt

Gemeinsames Musizieren mit verschiedenen Instrumenten

Gemeinsames Musizieren mit verschiedenen Instrumenten
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Alle Kinder beginnen mit der Erkundung der Welt, indem sie spielen. Spielerisch wird sich erschlossen, was sich anfassen lässt und wovon man lieber die Finger lassen sollte, was hart und was weich ist, was schmeckt und was nicht. Im Spiel eröffnen sich Kindern die Möglichkeiten ihres künftigen Lebens. Mit dem Erwachsenwerden geht der Spieltrieb zurück und wird, etwa durch die Pflichten des Alltags, beschränkt. Doch auch Erwachsene haben noch den Drang in sich, von Zeit zu Zeit zu spielen. Aus diesem Grund eignen sich Spiele bei psychischen Krankheiten auch so gut, sowohl bei Kindern als auch Erwachsenen positive therapeutische Ergebnisse zu erzielen.

Was ist Spieltherapie?

Spieltherapie ist die offizielle Bezeichnung für eine therapeutische Arbeitsweise, die vor allem Kindern und Jugendlichen, aber auch vielen Erwachsenen dabei hilft, psychische Belastungen zu überwinden. Dabei kann die Methode dazu beitragen, sich emotional wieder zu stabilisieren und traumatische Erlebnisse auf positive Weise zu verarbeiten. Bei Kindern trägt die Spieltherapie außerdem zu einer gesunden Entwicklung bei.

Wie funktioniert Spieltherapie?

Die Spieltherapie beruht auf der Annahme oder dem Wissen darum, dass das Spielen oftmals einen besseren Zugang zum Innenleben erlauben als es reine Gespräche tun würden. Indem Patienten mit Therapeuten spielen, zeigen sich die Ängste, Sorgen, Konflikte und eventuellen Störungen der Patienten oft nach einiger Zeit recht deutlich. Zudem offenbaren sich im Spiel mitunter Möglichkeiten der Entwicklung der Patienten, verschiedene Potenziale, die zur Bewältigung von Erlebtem dienen können und Bedürfnisse, die in reinen Gesprächen mitunter nicht eindeutig kommunizierbar sind oder waren.

Geschulte Therapeuten schaffen es oftmals, in der Spieltherapie nicht nur besseren Zugang zum psychischen Status des Patienten zu erhalten. Vielmehr können sie im Spiel auch leichter Wertschätzung für das Gegenüber aufbringen und Zuwendungs- und Einfühlsamkeitsangebote machen. Dadurch entsteht eine natürliche Beziehung zwischen den Spielenden, zwischen Patienten und Therapeut und die Therapieziele können schneller sowie besser erreicht werden.

Welche Spiele eignen sich als Therapiespiele?

Das Therapiespiel an sich kann, je nach Patienten, Diagnose und Möglichkeiten ganz unterschiedlich aussehen. Offenes Spielmaterial, das heißt Bälle, Seile, Magnete und vieles mehr kann zum Einsatz kommen. Aber auch Bewegungsspiele sowie Malen, Geschichtenerfinden, Musikmachen, Liederkomponieren, Reimen oder Spiele im und mit Sand sind in der Spieltherapie keine Seltenheit- Viele Spiele werden, gemeinsam mit den Patienten, auch einfach spontan erfunden.

Herkömmliche Regelspiele sind aber ebenfalls keine Seltenheit. Das können moderne Brettspiele oder traditionelle Spiele wie Schach oder etwa Würfelspiele sein. Letztere haben übrigens eine besonders lange Geschichte und wurden dabei schon immer in den unterschiedlichsten Lebenslagen eingesetzt. Dass mit Würfeln heute auch im Rahmen von psychotherapeutischen Maßnahmen positive Ergebnisse durchs Spielen erzielt werden können, verwundert also kaum.

Oftmals geht gar nicht so sehr um das Spiel an sich, sondern um dessen Mechanismen und Auswirkungen. So betont auch die Psychotherapeutin Melanie Gräßer in einem Interview, dass Spiele beispielsweise „als Eisbrecher, Belohnung oder zum tieferen Einstieg in bestimmte Themen“ bei Kindern und Erwachsenen eingesetzt werden können. Dabei fruchtet die Spieltherapie stets am besten, wenn das Spiel gewisse, für den Patienten individuell passende, Kriterien erfüllt und der Therapeut einige „Grundregeln“ beachtet.

Wie Spieltherapie am besten fruchtet

Grundsätzlich sollte ein Spiel für den jeweiligen Patienten bestimmte Kriterien erfüllen. Ob es das tut, wird bereits vor dem Spielen beim Anschauen des Spiels oder Erklären des Spiels deutlich. Spätestens während des Spielens selbst zeigt sich meist recht schnell, ob vielleicht ein anderes Spiel besser geeignet ist.

Ein Spiel sollte Patienten Spaß machen und nicht zu Langeweile führen. Weiterhin sollten die Patienten so viel Interesse am Spiel zeigen, dass sie freiwillig spielen und dazu nicht überredet oder gar gezwungen werden müssen. Letztlich sollten therapeutische Spiele keinen definierten Zweck verfolgen. Es gibt kein vorher definiertes Ziel eines bestimmten Spiels (auch, wenn es natürlich übergeordnete Therapieziele gibt) und es gibt keine bestimmte Lehre, die das Spiel vermitteln soll.

Weiterhin ist es sinnvoll, dass der Therapeut oder Pädagoge eine bestimmte Haltung zum Spiel einnimmt, bzw. sich an gewissen Grundprinzipien oder Grundregeln hält. Diese definierte schon Virginia Axline, eine der Begründerinnen der Spieltherapie, in ihrem Buch „Kinder-Spieltherapie im nichtdirektivem Verfahren“:

  1. „Der Therapeut muss eine warme und freundliche Beziehung zum Kind aufnehmen, die sobald wie möglich zu einem guten Kontakt führt.
  2. Der Therapeut nimmt das Kind ganz so an, wie es ist.
  3. Der Therapeut gründet seine Beziehung zum Kind auf eine Atmosphäre des Gewährenlassens, so dass das Kind all seine Gefühle frei und ungehemmt ausdrücken kann.
  4. Der Therapeut ist wachsam, um die Gefühle, die das Kind ausdrücken möchte, zu erkennen, er reflektiert sie (…).
  5. Der Therapeut achtet die Fähigkeit des Kindes, mit seinen Schwierigkeiten selbst fertig zu werden, wenn man ihm Gelegenheit dazu gibt (…).
  6. Der Therapeut versucht nicht, die Handlungen oder Gespräche des Kindes zu beeinflussen. Das Kind weist ihm den Weg. Der Therapeut folgt ihm.
  7. Der Therapeut versucht nicht, den Gang der Therapie zu beschleunigen.
  8. Der Therapeut setzt nur dort Grenzen, wo diese notwendig sind (…).“

Zwar formulierte Axline diese Regeln speziell auf die Therapie mit Kindern gemünzt, doch die Spieltherapie mit Erwachsenen funktioniert ähnlich. Auch hier gilt es, die Patienten möglichst wenig in ihrem Spieltrieb einzuschränken und mit Offenheit und Aufmerksamkeit gemeinsam zu spielen.

Wichtige emotionale Stufen in der Spieltherapie

Wenn auf oben beschriebene Weise gespielt wird und das passende Spiel für einen Patienten gefunden wurde, lassen sich meist mehrere emotionale Stufen bei Patienten beobachten, die sie während des Spielens durchlaufen.

In der ersten Stufe geht es meist rein um das erste Erleben eines Spiels und dabei bestenfalls das Erleben der eigenen Gefühle, die einen dabei überkommen. Auch bestimmte Wünsche, Gedanken und Bedürfnisse treten dabei oft zum Vorschein. Im Rahmen der Spieltherapie beobachten viele Therapeuten, dass dies sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen häufig negativ empfundene Gefühle sind. Wut, Trauer, Ärger und Frustration oder gar Gefühle von Hass und Verzweiflung sind keine Seltenheit. Im Spiel müssen diese Gefühle, anders als oft im Alltag nicht unterdrückt werden, sondern dürfen (müssen aber nicht) hier frei herausgelassen werden.

In der zweiten Stufe kann der Therapeut dabei helfen, die Bewusstheit dessen, was der Patient beim Spielen erlebt, zu fördern. So kann beispielsweise das Gefühl, dass der Patient nach etwa einem verlorenen Spiel hat, benannt und thematisiert werden. Wie fühlt es sich an, zu verlieren? Was genau erzeugt dabei beispielsweise das Gefühl von Wut oder Unfähigkeit? Indem über das Erlebte gesprochen wird, kann der Patient besser mit den Gefühlen umgehen – bestenfalls nicht nur beim und nach dem Spielen, sondern auch im Alltag.

Die dritte Stufe dient schließlich dazu, dabei zu helfen, das Erlebte aktiv in gesündere Verhaltensweisen umzusetzen. Das gelingt über das Spielen, indem ähnliche Situationen mehrmals werden erlebt und unterschiedlich damit umgegangen wird. Auf diese Weise kann auch nachhaltig das Verhalten mit Gefühlen im „echten Leben“ besser kontrolliert werden.

Spieltherapie für Kinder und Jugendliche

Psychologin und Kleinkind bei der Therapie mit Emoji-Emotionen im Kindergarten

Psychologin und Kleinkind bei der Therapie mit Emoji-Emotionen im Kindergarten
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Wie bereits erwähnt, ist die Spieltherapie gerade für Kinder und jüngere Jugendliche ein wichtiges Mittel, psychische Belastungen zu überwinden. Mehr noch als bei Erwachsenen ist das Spielen deutlich mehr als Unterhaltung. Mit Hilfe eines Spiels können viele Kinder sich erst mitteilen – sie finden im Spiel eine Sprache. Mit Hilfe dieser Sprache ist es zudem möglich, Lösungen für Probleme zu finden, die vorher vielleicht nicht zu bewältigen schienen.

Aus diesem Grund eignet sich die Spieltherapie für Jüngere besonders gut. Allerdings bedarf es der richtigen therapeutischen Erfahrung und Betreuung, um mit Hilfe von Spieltherapie Erfolge bei der Genesung von Kindern zu erzielen. Fruchtet die Spieltherapie allerdings erst einmal, kann sie ein wunderbares Mittel sein, Menschen selbst über schlimme Traumata hinwegzuhelfen.

Eine britische Studie von Ende der 2000er Jahre zeigte übrigens sogar, dass auch Videospiele wie „Tetris“ selbst wenige Stunden nach einem traumatischen Erlebnis positive Auswirkungen auf die Verarbeitung des Erlebten haben können. Spannend wird deshalb sicher sein, die Möglichkeiten zu beobachten, die sich im Rahmen der Spieltherapie mit Hilfe von Videospielen gerade auch für Kinder und Jugendliche künftig noch bieten werden.

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