Angst

Angst und Angstzustände

Den Ausführungen mag ein Wort von Axel Munthe vorausgehen: Die Seele braucht mehr Raum als der Körper.

Ausdruck der Angst

Ausdruck der Angst – Bildlizenz: (c) Victor Bezrukov – Lizenz: cc-by-2.0

Der aufmerksame Leser wird sich fragen, ob Angst denn überhaupt eine Krankheit, nicht nur ein normaler Gemütszustand im Auf und Ab des menschlichen Seelenlebens sei! Er hat insofern recht, als Angst zum menschlichen Leben gehört wie Freude und Ärger, Vergnügen und Verdruss. Die Angst ist ein Schutzmechanismus gegen heraufziehende Gefahren, gegen äußere und innere Verwundungen, gegen das Schlimmste im Leben eines Menschen, gegen die Bedrohung durch den Tod. Die Angst ist einem Warnsignal vergleichbar, einer roten Ampel, die immer dann aufleuchtet, wenn Gefahr von außen droht oder Wagnis aus persönlichem Übermut die persönliche Sicherheit preisgibt. In diesem Sinn wäre letztlich die Angst etwas Positives, gewissermaßen der stets gegenwärtige Schutzengel eines Individuums, Symptom eines normalen Warnsystems im menschlichen Dasein.

Erst wenn die Angst in uns ein Eigenleben führt, wenn sie sich in unserer Gefühlswelt zu einem nicht mehr greifbaren Ungeheuer entwickelt, wird sie zur behandlungsbedürftigen Störung.

Angstvarianten

Zwei Angstvarianten versinnbildlichen den Seelenzustand des Betroffenen. Einmal die Angst vor der Einsamkeit, dem Alleingelassen werden, der Schutzlosigkeit, die »Platzangst«. Weite und große Plätze, Dunkelheit und Stille, leere Straßen und einsame Wälder aktivieren diese Angst der Verlassenheit und steigern sie oft zu panikartigen Zuständen. Der leere Platz wird zum Symbol der Unsicherheit, öffnet den Blick in eine ungewisse Zukunft.

Die andere Variante ist die Budenangst, die Angst vor der Enge, der Bedrängung, der Unfreiheit und des Dirigismus, verbunden mit der Unmöglichkeit, seine Persönlichkeit unbehindert zu entfalten. Sinnbild dieser Beengung sind Unruhe und Unbehagen in kleinen Räumen, im Fahrstuhl, im Flugzeug, im Sessellift und in den engen Stuhlreihen der Kirche, des Theaters und des Kinos. Die möglichen subjektiven Beschwerden sind bei der beklemmenden Beengung die gleichen wie bei der Verlassenheit der Öde. In beiden Fällen reduziert sich der persönliche Handlungsspielraum auf ein begrenztes Feld gehemmter Aktivist.

»Flottierende Ängste«, wie sie der Psychotherapeut Schultz-Henke nennt, überfluten das Bewusstsein, engen Verstand und Vernunft so stark ein, daß ein überlegtes Agieren und Reagieren nicht mehr möglich ist. Die Ratlosigkeit des Menschen in solchen Situationen äußert sich in unvernünftigen Handlungen und in körperlichen Allgemeinsymptomen wie Blass- oder Heißwerden des Gesichts, Schwitzen am ganzen Körper, Unsicherheit beim Gehen, Herzklopfen und Schwindel bis zum Kollaps.

Körperliche Folgen der Angst

Angst wird nicht nur psychisch erlebt, sondern auch  körperlich empfunden. Angst bemächtigt sich der inneren muskulären Organe und verkrampft sie. Eine Unzahl  beklagter körperlicher Beschwerden werden aus dem unbewußten Angstpotential gespeist. Ort der Spannungsentladung sind vorwiegend der Magen-Darmkanal, das Herzgebiet und die Genitalsphäre. Typische Angstsymptome sind Kloßgefühl im Hals, Appetitmangel, Druck in der Magengegend, wandernde Leibschmerzen, Verstopfung und Durchfall, Luftaufstoßen und Blähzustände, Spannungsgefühl in der Herzgegend und Angina pectoris ähnliche Zustände. Verlustängste, besonders Ängste vor Liebesverlust, bemächtigen sich der Genital- und Harnorgane mit Potenzstörungen, Frigidität, Unterleibsbeschwerden bei der Frau, Kongestions- Prostatitis (s. Prostataleiden) beim Mann und Störungen beim Wasserlassen.

Der von Angst Gepeinigte wird sich natürlich um keinen Preis der qualvollen Prozedur eines angstauslösenden Ereignisses erneut aussetzen. Er wird allem aus dem Wege gehen, was den unheilvollen Angstreflex in Gang setzen könnte. Immer auf der Hut sein, stets in Vermeidung angstauslösender Situationen leben zu müssen ist das beschwerliche Los aller Angstpatienten.

Phobien, wie Angstzustände auch genannt werden, erschöpfen sich natürlich nicht nur in Raumängsten, Angst kann sich gegen Personen, gegen Vorgesetzte, gegen unangenehme Partner, gegen Auseinandersetzungen, vor allen Dingen aber auch gegen gesundheitliche Bedrohungen wie Krebs, gegen alles, was mit dem Tod zusammenhängt, gegen bestimmte Tiere, aber auch gegen das eigene Ich mit seiner unberechenbaren Triebwelt richten. Ein Eigenleben besonderer Art führen die Prüfungsangst und das Lampenfieber, die beklemmende Angst Menschen gegenüber, die eine Leistung, eine Selbstdarstellung oder eine Rede erwarten.

Hier kann natürlich keine ausführliche Abhandlung des Angstkomplexes in allen seinen Abstufungen erfolgen. Anzufügen wäre noch, daß es zwischen Angst und Hemmungen, die den Menschen in seiner freien Entfaltung hindern, fließende Übergänge gibt.

Herkunft der Angst

Die Frage nach der Herkunft der übersteigerten, zählebigen Angstgefühle, die ein ganzes Leben beherrschen können, ist nur allzu berechtigt. Mit größter Wahrscheinlichkeit kann Vererbung ausgeschlossen werden. Die Angst ist etwas Angelerntes, eine Verhaltensweise, die bereits in früher Kindheit von den Erwachsenen, meist von den Eltern oder Erziehern übernommen wurde. Angst ist also nicht angeboren, sondern anerzogen. Freud, der Begründer der Psychoanalyse, gebraucht den Ausdruck »Übertragung«. Von den Beziehungspersonen wurden Verhaltensmuster übertragen, prägten sich Situationen ein, die angstverursachend wirkten. Strafandrohung, despotische Erziehung und Einengung des kindlichen Freiraumes mögen noch das Ihre dazu beigetragen haben, daß sich die Selbstsicherheit dem kindlichen Wachstum nicht anpassen konnte und zu viel Verhaltensmodalitäten mit Abwehr, Flucht und Angst besetzt wurden.

Angstzustände gehören aber auch zu den Atavismen, den stammesgeschichtlichen Primitivreaktionen der Urmenschen, die sich noch gegen dunkle Mächte und Kräfte behaupten oder sich ihnen unterwerfen mußten. Das Unheimliche der Angst, die wie ein Kriechtier an der Seele nagt, ist geblieben. Unheimlich auch deswegen, weil Angst aus einem kleinen Rinnsal zu einem Sturzbach werden kann, der alles überschwemmt und schließlich zu einer panikartigen Fluchtreaktion führen kann. Das Symptom der Angst ist bei aller Unheimlichkeit unbeständig und unstabil. Oft hat es den Anschein, als ziehe sich die Angst in irgendwelche Schlupfwinkel zurück, um sich dort für einen späteren Angriff zu rüsten. Angst benötigt nicht immer einen Auslöser. Sie kann ohne Grund auftauchen, sich aber auch plötzlich wieder auflösen. Angst ist niemals eine bleibende Konstante, die über Stunden oder Tage peinigt. Angst ist immer auf der Reise und verschwindet, wie sie gekommen ist. Ein Trost für den Geplagten! Wenn sich auch Angst und Depression zur sog. Angst-Depression verdichten können, so muß doch zwischen beiden Krankheitsbildern streng unterschieden werden. Der Depression gehört die Zeit, die Permanenz, die Angst dagegen ist kurzzeitgebunden, flüchtig.

Mit der Erkenntnis »wo Angst ihre Macht verloren hat, wächst das Selbstvertrauen« wird bereits die Richtung zur Angstbefreiung aufgezeigt. Die Verhaltenstherapie unternimmt mit der Methode der kleinen Schritte den Versuch, die Angstpersönlichkeit aus ihrem selbst gezimmerten Käfig zu befreien, ihr im Gewöhnungsverfahren ihre Angstmotivationen vertraut zu machen, sie anzulernen, die Angstreaktionen zu zügeln, um auf diese Weise Selbstvertrauen und Sicherheit, besonders gegenüber der angstauslösenden Situation, zu gewinnen. Mit diesem Antiangsttraining sollen die natürlichen Kräfte zur Überwindung schwächlichen Nachgebens und von Konfliktvermeidung unterstützt werden. In diesem Bemühen um Stabilisierung der Psyche eignen sich ganz besonders die Wasseranwendungen Kneipps, wobei den Kaltanteilen der Vorzug zu geben ist.

Behandlung mit Kneipp

Tgl. Armbad; Wassertreten im Freien oder in der Badewanne, stattdessen auch Wechselknie-, Wechselschenkel-, Wechselunter- oder Wechselarmguß mit verlängertem Kaltanteil.

Wöch. 2x Halbbad, 3/4-Bad oder Vollbad kalt, jedoch nur, wenn keine Gegenanzeigen bestehen.

Allgemeine Maßnahmen

Aktivitäten in jeder Form; Schwimmen; Sport, besonders unter Wettbewerbsbedingungen, z. B. Tennis, Tischtennis, Golf u.a., um im Erfolgserlebnis Selbstvertrauen zu finden und um Flucht- und Lähmungstendenzen in aktive Motilität (Bewegungsvermögen) umzustimmen. Neben der bereits erwähnten Verhaltenstherapie kommt auch autogenes Training in Frage. Es eignet sich die Formel: »Ich gewinne Sicherheit und Selbstvertrauen. « Weiterhin Gesprächspsychotherapie, Atemübungen und Yoga. Auch das Gespräch mit einem Seelsorger kann sehr nützlich sein, besonders wenn religiöse Bindungen im Laufe der Jahre verlorengingen.

Medikamente

Über den Einsatz der wirksamen Tranquilizer entscheidet der Arzt. Ein Dauergebrauch ist wegen Suchtgefahr abzulehnen.

Über den Autor

Dr. med. Mathäus Fehrenbach: Facharzt für Allgemeinmedizin, Badearzt, Naturheilverfahren

Quelle

Fehrenbach, Dr. med. Mathäus: Kneipp von A-Z: Das Gesundheitsbuch für alle; Verlag: Radgeber Ehrenwirth; 6. Auflage 2010

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Kursanatorium Dr. Fehrenbach.

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