Finger weg von zu simplen Ernährungsformeln beim Zucker

Ernährungswissenschaftler und ihr Ruf

Ernährungswissenschaftler haben keinen besonders guten Ruf: Über Jahrzehnte predigten sie die Reduktion von Fett, ohne jedoch auch den Zuckerüberschuss in den Fokus zu stellen. Heute scheint der Fokus beinahe umgekehrt. Doch die zahlreichen Crash-Diäten und Ernährungsformeln, die in Illustrierten propagiert werden, sind meist keine wissenschaftlich fundierten Tipps, sondern laienhaft formulierte und schlecht durchdachte Binsenweisheiten. Was sagt die Wissenschaft wirklich?

Komplexes biochemisches Zusammenspiel

Unsere Ernährung und unser Stoffwechsel sind komplexe multifaktorielle Systeme, die darauf ausgelegt sind, mit einem wechselhaften Nahrungsangebot, Hungerphasen sowie schwankender Nahrungsqualität klarzukommen. So haben wir die Fähigkeit, aus Fetten auch Zucker aufzubauen – und umgekehrt. In Phasen des Überschusses legt unser Körper Depots an, um sie in schlechten Zeiten wieder aufzubrauchen. Doch unsere heutige Ernährung bietet rund um die Uhr eine hochkalorische Versorgung. Deswegen ist das größte Problem Übergewicht und damit verbundene Stoffwechselerkrankungen von Diabetes über Gicht bis hin zum metabolischen Syndrom. Anders herum sorgen laut Experten ungesunde Diäten für Mangelerscheinungen und Muskelverlust.

Zu viel ist zu viel

Zuckerhaltige Nahrungsmittel sind in der Natur kaum vorhanden, sodass unser Körper nicht optimal darauf vorbereitet ist, diese dauerhaft zu verwerten. Süßigkeiten und hochreifes Obst bieten einen Überschuss, der in uns Heißhunger auslöst, um Reserven für später anzulegen. Ist dies ständig verfügbar, wird es in Fettdepots abgespeichert. Dauerhaft leicht verfügbarer Zucker steigert das Risiko von Diabetes. Dabei kommt es nicht nur auf die Menge Zucker pro Tag an, sondern auch, welche Art von Zucker. In schwierig abbaubaren komplexen Polysacchariden gespeichert wird die Energie nur langsam freigesetzt und hilft, Hunger über den Tag zu unterdrücken. Monosaccharide sind dagegen sofort verfügbar und geben einen Energieschub, der danach wieder rasch abfällt und für noch mehr Hunger sorgt. Paradox: Wir sind mit vielen Kalorien versorgt, brauchen aber bald noch mehr. Letzten Endes ist für die Frage, ob wir Gewicht zunehmen oder verlieren, die Menge aufgenommener Energie entscheidend. Ist der Stoffwechsel aber nicht in der Lage, mit dem Vorrat zu haushalten und schieben wir immer mehr Treibstoff nach, wird diese Überversorgung zum Problem. Deswegen entscheidet auch die Zusammensetzung und Verteilung unserer Ernährung über den Tag, wie gesund wir leben.

Diät...

Wer die Wahl hat…
(C) Bild von Jerzy Górecki auf Pixabay

Zucker-Verschwörung?

Zucker wird industriell produziert und hat eine starke Lobby, die wiederum auch Einfluss auf Politik und Wissenschaft nimmt. Ein Teil dieses Einflusses trug auch dazu bei, Zuckerkonsum zu verharmlosen. Doch weder ist Zucker “Gift” noch macht er “süchtig”. Es gibt keine körperliche Abhängigkeit, wohl aber schlechte Ernährungsgewohnheiten, die nahe an Suchtverhalten heranreichen, inklusive dem massiven schlechten Gewissen, wenn man wieder über die Stränge geschlagen hat. Und obwohl Diabetes immer häufiger wird, sind Monosaccharide dennoch wichtig. Sie versorgen vor allem Hirn, Herz und Blutzellen, die andere Energieträger schlecht verstoffwechseln können. Gerade vor Prüfungen oder anderen Formen anstrengender geistiger Arbeit kann Zucker einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung unserer Leistungsfähigkeit leisten.

Fazit

Völliger Verzicht auf Zucker ist keine schlaue Ernährungsform, sondern hat Konsequenzen zum Beispiel bei geistigem Stress. Nicht selten lösen Phasen psychischer Belastung Heißhunger auf Süßigkeiten aus: Unser Gehirn schreit nach Energie! Doch jede Form des Übermaßes bleibt schädlich. Wichtig ist nicht das Verteufeln von Zucker, sondern sein maßvoller und bewusster Genuss. Auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung verbietet niemandem die Süßigkeiten, empfiehlt aber zum Beispiel, den Konsum gesüßter Getränke stark einzuschränken.

Print Friendly, PDF & Email