Burnout

3.Zusammenhänge zwischen Burnout und Selbstdarstellung

3.1 Die Entstehung von Burnout in Bezug auf Selbstdarstellung

Die Entstehung von Burnout wird durch drei unterschiedlichen Aspekten dargestellt, die jeweils einen engen Zusammenhang zum Thema Selbstdarstellung aufweisen. Zuerst wird die Entstehung von Burnout im Hinblick auf Rolle und Rollenerwartung erörtert. Anschließend werden Stress und Stressbewältigung diskutiert. Um nachfolgend den daraus resultierenden Kontrollverlust zu beleuchten. Die Darstellung der Entstehungsfaktoren erhebt dabei keinen Anspruch auf Voll-ständigkeit, sondern dient der Präsentation themenrelevanter Entstehungs-faktoren im Sinne einer hierarchischen Folge.

3.1.1 Rolle und Rollenerwartung bei Burnout

Wie bereits erwähnt, sind Rollen Teile des Selbstkonzeptes und liefern Orientierungen für gelungene und situationsangepasste Selbstdarstellung. Umgekehrt kann eine fehlende Passung zwischen den Erwartungen an eine Person und deren Möglichkeiten zur erfolgreichen Ausführung und Darstellung des erwarteten Verhaltens, schwerwiegende Folgen haben.

Die Inkompatibilität zwischen den Anforderungen und dem Selbstkonzept einer Person kann ein entscheidender Auslöser eines Burnout-Prozesses sein. Im Folgenden soll diese Problematik, nach einer kurzen Begriffsbestimmung zum Thema Rolle und dem Burnout-Modell nach Lauderdale genauer ausgeführt werden. Im nächsten Schritt wird der Zusammenhang zwischen einer un-reflektierten Berufswahl und der Entstehung von Burnout aufgezeigt.

3.1.1.1 Grundbegriffe zum Thema Rolle

Der Begriff Rolle ist tief in der Alltagssprache verwurzelt. Sei es im Sport z.B. die Rolle des „Jokers“ im Fußball oder in Aussagen wie: „Welche Rolle hat er in der Organisation?“. Ebenso wie bei einer geschriebenen Rolle in Theater, Film oder Fernsehen, sind an Rollen jeglicher Art, Erwartungen und Verhaltensvorschriften geknüpft. Wenn diese Verhaltenserwartungen enttäuscht werden, muss der Rolleninhaber mit Sanktionen rechnen z.B. mit Missachtung.

Die Soziologische Auffassung ist dieser sehr ähnlich, wenn auch spezifischer:

„Rollen sind relativ konsistente, mitunter interpretationsbedürftige Bündel von Erwartungen, die an eine soziale Position gerichtet sind und als zusammengehörig perzipiert werde.“ (Wiswede 1977, S.18)

Soziale Positionen sind per Definitionem mit Aufgaben und Erwartungen ver-bunden, die an diese gestellt werden. Beispielsweise wird von einem Lehrer erwartet, dass er die Schüler nach didaktisch erfolgreichen Methoden unterrichtet. Kommt der Lehrer dieser Erwartung nicht nach und hält nur Vorträge im universitären Stil, dann muss er mit Sanktionen rechnen (z.B. Beschwerde durch die Eltern). Dieser fiktive Lehrer ist aber noch Inhaber von mehreren sozialen Positionen, an die ebenfalls Erwartungen geknüpft sind. Er könnte Ehemann und Vater sein, wodurch er die an ihn gestellten Erwartungen des Berufes und des privaten Lebens in Einklang bringen müsste, damit es nicht zu Konflikten kommt.

Des Weiteren sind Positionen danach zu unterscheiden, ob sie zugeschrieben oder erworben sind. Zugeschrieben ist z.B. das Geschlecht und erworben eine Vereinsmitgliedschaft (vgl. Wiswede 1977, S.19ff.).

Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass es nicht ein Rollenparadigma gibt, sondern eine Vielzahl von Auffassungen. Grundlegend sind in der Soziologie die Auffassungen des Interaktionismus und des Strukturfunktionalimus. Aus Struktur-funktionalistischer Perspektive sind Rollen „normierte Erwartungen“ an eine soziale Position, die unabhängig vom Individuum weiterbestehen. Die interaktionistische Auffassung begreift eine soziale Rolle als „erlerntes Verhaltensmuster“, das vom Inhaber der Rolle angeeignet, bestätigt und verändert wird. (Meyer. 2000, S.24f) Diese vereinfachte Unterscheidung soll im Rahmen der Arbeit genügen.

Im weiteren Verlauf der Arbeit wird ein Rollenbegriff verwendet, der zum einen die normativen Vorgaben von Gesellschaft und Organisationen berücksichtigt, zum anderen aber auch die Veränderbarkeit und den Einfluss des Individuums betont.

Insbesondere die interaktionistische Perspektive offenbart den Zusammenhang zwischen Rolle und Identität. Wie bereits erwähnt (s. 2.1.1), helfen Rollen dem Subjekt dabei sich in der Umwelt zu verorten. Einerseits werden vorgegebene Erwartungen bei der Ausübung der Rolle übernommen (Role-Taking),

andererseits interpretiert und gestaltet das Individuum auch die vorgegebene Rolle individuell aus (Role-Making) (vgl. Tillmann 2000, S. 139).

Man kann demnach sagen, dass Rollen den Raum vorgeben in dem Identität präsentiert wird. Die soziale Identität lässt sich durch „Role-Taking“ erfolgreich realisieren. Das „Role-Making“ bietet besonderere Gestaltungsmöglichkeiten für die personale Identität, indem biographische Erfahrungen in die Rolleninterpretation, in einen rollenspezifischen Interaktionsprozess eingebracht werden und damit die Rolle individuell ausgestaltet wird.

Das Selbstkonzept formt sich während der Interaktion in Abhängigkeit von den Erwartungen an die Rolle und damit an die Identität. Gleichzeitig bestimmt es auch die Interaktion durch Selbstschemata mit (s. 2.1.1). Die Zusammenhänge zwischen Identität, Rolle und Selbstkonzept sind von großer Bedeutung für die Entstehung von Burnout.

Beispielsweise kann eine Kompetenzkrise aufgrund eines Praxisschocks als Resultat der nicht bewältigbaren Rollenerwartungen auftreten und einen Angriff auf die eigene Identität zur Folge haben. Dadurch verändert sich das Bild von sich selbst zum Negativen, mit dem Resultat eines sich selbst negativ „ausgestellten“ Selbstkonzeptes. Wenn in einem derartigen Fall die passenden Bewältigungs-strategien nicht zu Verfügung stehen, steigt das Burnout-Risiko.

3.1.1.2 Formen von Rollenbelastungen

Nach der Klärung der Grundbegriffe stehen die verschiedenen Formen der Rollenbelastungen im Fokus (vgl. Meyer 2000, S.40ff.). Rollenbelastungen stehen stets in Zusammenhang mit Rollenerwartungen und bringen den Inhaber der jeweiligen sozialen Rolle in eine problematische Situation. Der Rolleninhaber muss mit den Rollenbelastungen umgehen, d.h. er muss versuchen, diese zu bewältigen (genannt „Coping“).

Weil Rollenbelastungen bei nicht erfolgreicher Bewältigung zu Stress führen, ist eine produktive Bewältigung notwendig, um die Belastungen zu überstehen. Das Thema „Coping“ wird unter 3.1.2 genauer erläutert.

Grundlegend können Rollenüberlastung und Rollenunterlastung unterschieden werden. Bei Rollenüberlastung übersteigen die Anforderungen und Erwartungen an die Rolle die Fähigkeiten und die Belastbarkeit des Rolleninhabers. Hierbei genügt seine die subjektive Einschätzung. Bei Rollenunterlastung bzw. Rollenunter-forderung ist der Fall umgekehrt. Die verlangten Anforderungen und Erwartungen an die Rolle sind, gemessen an den selbst eingeschätzten Kompetenzen und eigenen Erwartungen zu niedrig.

Rollenkonflikte sind Disharmonien zwischen verschieden Rollenerwartungen.

Der „Inter-Rollenkonflikt“ beschreibt einen Widerspruch zwischen den Erwartungen zweier oder mehrerer Rollen einer Person. Ein typisches Beispiel sind Probleme zwischen Berufsrolle und Familienrolle. Eine Person mit einem „full-time job“ wird Probleme haben, auch als Elternteil und Partner präsent zu sein. Unter dem „Intra-Rollenkonflikt“ sind widersprüchliche Erwartungen innerhalb einer Rolle zu verstehen. Beispielsweise befindet sich eine Pflegekraft in einem „Intra-Rollenkonflikt“, von der einerseits persönliche Gespräche und Zeit für individuelle Pflege von Seiten der Pflegebedürftigen erwartet wird. Andererseits wird sie von der Leitung dazu angehalten, möglichst zeitsparend und effizient zu arbeiten.

Diese Pflegekraft würde sich gleichzeitig in einem „Person-Rollen-Konflikt“ befinden, wenn ihre Auffassung der beruflichen Rolle (z.B. Besonders menschliche und empathische Pflege), den Vorgaben der Leitung widerspricht. Bei einem „Person-Rollen-Konflikt“ handelt es sich um eine Disharmonie zwischen persönlichen Erwartungen, Idealen und Vorstellungen und den externen Erwartungen an die Rolle.

Eine weitere Form von Rollenbelastungen ist die so genannte Rollenambiguität. Der Begriff wird verwendet wenn die Erwartungen an eine Rolle unklar oder mehrdeutig sind. Besonders belastend ist bei der Rollenambiguität, dass sich der Rollenträger der Folgen seines Rollenverhalten nicht sicher sein kann, weil ihm die Erwartungen unklar sind.

Noch zu erwähnen sind Rollenverlust und Rollenwechsel. Bei einem Rollenverlust ist die Person nicht mehr Inhaber der jeweiligen Rolle z.B. durch Arbeitslosigkeit oder Pensionierung. Unter Rollenwechsel versteht man zumeist einen eindeutigen Wechsel der Rolle z.B. ein Wechsel der Arbeitsstelle (vgl. Meyer 2000, S.40ff).

Auf das Thema der Arbeit bezogen, ist davon auszugehen, dass es sich bei Burnout-Prozessen gleichzeitig um Rollenwechsel handeln kann. Beispielsweise deuten die Ergebnisse der Potsdamer Lehrerstudie (vgl. 2.2.4) darauf hin, dass ein Wechsel des AVEM-Musters, einen Rollenwechsel oder zumindest eine Umdeutung der Berufsrolle darstellt. Ein Wechsel von Risikomuster A zu Risikomuster B wurde „überzufällig häufig“ festgestellt. (Schaarschmidt. 2005. S.27)

Dieser Wechsel kommt den klassischen Burnout-Theorien von Freudenberger (vgl. 2.2.1) oder Maslach sehr nahe. Nämlich der Entwicklung vom übermotivierten zum resignierenden Mitarbeiter.

3.1.1.3 Das Burnout-Konzept von Lauderdale: Enttäuschte Rollenerwartungen

Nach Lauderdale sind enttäuschte Rollenerwartungen ein Hauptauslöser von Burnout (vgl. Burisch 2006, S.45f.). Jedes Individuum entwickelt im Laufe seines Lebens spezifische Rollenerwartungen. Wenn die Erwartungen an eine Rolle und die realen Erfahrungen mit der Rolle nicht mehr kompatibel sind handelt es sich, nach Lauderdale, um eine Enttäuschung der eigenen Rollenerwartungen.

Ein angehender Lehrer könnte an seiner zukünftigen Rolle eine Vielzahl an Erwartungen haben, die er bei seinem Berufseinstieg „mitbringt“.

Beispielsweise könnte er ein gewisses Maß an Respekt der Schüler erwarten, ein freundliches und unterstützendes Miteinander im Kollegium und evtl. Wert-schätzung seiner Rolle durch Freunde und Bekannte. Wenn er in seinem beruflichen Alltag auf problematische Schüler, ein konkurrierendes und wenig kompromissbereites Kollegium und wenig Interesse an seiner Tätigkeit durch Freunde und Bekannte trifft, dann kann aus diesen Problematiken Burnout resultieren.

Lauderdale analysiert treffend, dass gesellschaftliche Rahmenbedingungen die Problematik der enttäuschten Rollenerwartung bestärken.

Zum einen die Unvorhersehbarkeit von Veränderungen in der Gesellschaft z.B. es kann sich niemand sicher sein, ob der angestrebte Beruf nach dem Studium noch so gefragt ist wie bei Antritt des Studiums. Zum anderen sind Rollen davon bedroht „im Zuge des raschen Wertewandels“ uminterpretiert oder bedroht zu werden. (Burisch 2006, S.45) Beispielsweise die Mutterrolle aber auch bestimmte Berufs-rollen haben sich in den letzen Jahrzehnten verändert, man denke an den „Halbgott in Weiß“ in den 50er und 60er Jahren und an die streikenden Ärzte von heute.

3.1.1.4 Rollenerwartung und Berufswahl

Die Ergebnisse der Potsdamer Lehrerstudie und die Schlussfolgerungen von Schaarschmidt (s.2.2.4) offenbaren, dass ein großer Anteil der angehenden Lehrer, einerseits mit falschen Rollenerwartungen in den Beruf geht und andererseits nicht über die Kompetenzen verfügt, um die geforderten Rollenerwartungen, ohne gesundheitliche Einbußen erfüllen zu können.

Zuerst zum Aspekt der falschen Rollenerwartungen. Die falschen Rollen-erwartungen weisen auf die von Schaarschmidt angesprochene, mangelnde „berufsspezifische Motivation“ hin. (Schaarschmidt. 2005. S.153)

Daraus ergibt sich die Frage: Wie soll ein angehender Lehrer, der sich aus pragmatischen Gründen (wie z.B. Risikominimierung: sicheres Gehalt, sicherer Job) für den Beruf entscheidet, dazu fähig sein, selbst Schüler zu motivieren?

Die eigenen Motivationsdefizite zur Berufsausübung übertragen sich zwangsläufig auch auf das „Role-Making“ eines Lehrers. Wenn fachliches Interesse und sozial kommunikative Motivation im Umgang mit den Schülern bei der Berufswahl keine Rolle spielen, werden die Berufsausübung und die damit verbunden Erwartungen zur Gefahr. In so einer Konstellation führen die inkompatiblen Erwartungen der Umwelt und des Lehrers an den Beruf zu Rollenkonflikten, weil im Sinne eines Personen-Rollen-Konfliktes die externen Erwartungen mit der eigenen Vorstellung des Berufs kollidieren.

Das Aufeinandertreffen entgegengesetzter Erwartungen zeigt gleichzeitig Defizite des Lehrers auf, weil er die an ihn gestellten Erwartungen nicht erfüllen kann. Deshalb wird er bei wiederholtem Auftreten, als ungeeignet für den Beruf eingestuft. Bei Berufseinsteigern kann dieses Urteil eine Kompetenzkrise auslösen (s. 2.2.3.1), die nicht nur die berufliche Rolle angreift, sondern auch die Person im Ganzen abwertet. Nach dem Verständnis der unter 2.1.3.1 eingeführten Slbstdiskrepanztheorie nach Higgins, liegt in diesem Fall eine Diskrepanz zwischen tatsächlichen Selbst und dem Soll-Selbst vor, die zu negativen Gefühlen führt. Das Soll-Selbst entspricht normativen Vorgaben. In diesem Fall sind die Vorgaben auf die Ausführung der Berufsrolle bezogen. Diese Selbstdikrepanz schafft auch ein Ungleichgewicht zwischen Selbstkonzept und Identität, weil die Bewertung der eigenen Person in Form des Selbstkonzeptes negativ ausfällt und damit auch die berufliche Verortung der personalen Identität zum Problem wird.

Daraus folgt, dass die Kritik an der Person, ein schlechter Lehrer zu sein, einem Angriff auf die Identität gleich kommt. Wenn die Rollenausübung als defizitär bewertet wird, wird auch die Person als gesellschaftliches Mitglied defizitär bewertet (vgl. Tugendhat 1993).

Ein weiterer Aspekt bezüglich der inkompatiblen Erwartungen und der damit verbundenen Probleme bei der Rollenausübung ist, die damit verbundene Rollendarstellung. Wie bereits erwähnt, ist die soziale Rolle als Raum anzusehen, worin die Identität präsentiert wird. Das heißt, Identität, Rolle und Selbstkonzept stehen in Wechselwirkung zueinander. Durch die Rollenausübung verortet das Individuum seine Identität und bewertet sich selbst in Form des Selbstkonzeptes. Gleichzeitig muss eine Rolle immer dargestellt werden. Man kann sich der Rollendarstellung und der damit verbundenen Präsentation des Selbstkonzeptes bei der Rollenausübung nicht entziehen.

Eine Person, die wie oben geschildert, als nicht handlungsfähig bezüglich ihrer Rollenausübung bewertet wird, verliert auch Zugänge zu einer erfolgreichen Selbstdarstellung, weil bereits durch die unreflektierte Berufswahl und den damit verbundenen Motivationsproblemen die Identifikation für den Beruf fehlt. Innerhalb jeder Selbstdarstellung wird das Selbstkonzept und die Identität immer wieder in Frage gestellt. Einerseits ist Selbstdarstellung eine Aufforderung an andere, indem man durch die Ausübung von sozialer Macht einen gewünschten Eindruck erreichen will (s. 2.1.3.2). Andererseits, ist Selbstdarstellung immer auch eine Positionierung in Bezug auf soziale Normen.

Das heißt, wie soll sich eine als nicht handlungsfähig bewertete Person als handlungsfähig präsentieren und wie sollen gleichzeitig innerhalb der Selbstdarstellung berufstypische Normen präsentiert werden, obwohl der Lehrer selbst, diesen nicht entspricht?

Der Ausweg in so einem Fall, wäre Resignation oder defensive Selbstdarstellung, die auch als defensiver Bewältigungsversuch zu verstehen ist. „Kennzeichnend für das Auftreten von Burnout“ ist die defensive Bewältigung im Sinne von Cherniss

(s. 2.2.3.1) und Maslach (s. 2.2.1). (Hedderich 2009, S.16)

Der zweite Aspekt, die ungünstigen persönlichen Dispositionen und mangelnden Kompetenzen zur angemessenen Berufsausübung, ist auch mit der unreflektierten Berufswahl verbunden. Aus den Ergebnissen der Potsdamer Lehrerstudie geht hervor, dass sich etwa ein Viertel der Befragten, für den Beruf des Lehrers entschieden haben, obwohl sie ihre Eignung für den Beruf in Frage stellen (vgl. Schaarschmidt 2005, S.152). Diese Befragten sind zu einem großen Teil dem Risikomuster B zuzuordnen und als besonders Burnout-gefährdet einzustufen.

Die mangelnden Kompetenzen sind insbesondere sozial-kommunikativer Art. Gerade kommunikative Kompetenzen sind von Nöten, um die geforderten Aufgaben eines Lehrers bewältigen zu können. Hierbei ist zu beachten, dass sich die Aufgaben eines Lehrers (z.B. Unterrichten, erziehender Unterricht, Fördern, Kompensieren usw.) aus den Funktionen von Schule ergeben und somit auf gesetzliche Formulierungen und gesellschaftliche Forderungen zurückzuführen sind (vgl.Wiater 2006.).

Um die Funktionen von Schule (Qualifikationsfunktion, Selektionsfunktion, Sozialisationsfunktion, Personalisationsfunktion und Enkulturationsfunktion) durch die Verwirklichung der Aufgaben eines Lehrers angemessen erfüllen zu können, sind bestimmte Kompetenzen notwendig. Zu diesen Kompetenzen zählen neben fachlichem Wissen auch kommunikative Kompetenz, eine prosoziale Einstellung und Sensibilität im Umgang mit den Schülern. Die Rollenerwartungen stehen in Verbindung mit den Erwartungen an einen Lehrer, die Funktionen von Schule zu vertreten, und zu versuchen, diese durch eine professionelle Herangehensweise an seine Aufgaben zu verwirklichen. Fehlen die geforderten Kompetenzen, besteht die Gefahr einer Rollenüberlastung, weil der Lehrer nicht über das Repertoire verfügt, um die geforderten Aufgaben im Schulalltag – mit all seinen Problemen – umzusetzen.

Neben kommunikativen und sozialen Kompetenzen sind auch bestimmte per-sönliche Dispositionen notwendig, um den Beruf erfolgreich und gesund ausüben zu können.

Beispielsweise, der bei der Vorstellung der Potsdamer Lehrerstudie (s. 2.2.4) genannte Bereich der Widerstandskraft, dem unter anderem Distanzierungs-fähigkeit und Resignationstendenz zugeordnet werden. Diese Dispositionen werden analog zu Hübners Betrachtungsebenen (s. 2.2.2) in der individuellen Sozialisation geprägt und können nicht ohne weiteres innerhalb des Studiums angelegt oder umgekehrt werden.

Schaarschmidt beschreibt diese Problematik folgendermaßen:

„Klar ist, dass derartige Handicaps während der Ausbildung nicht oder kaum wettgemacht werden können. Es muss bereits vor Aufnahme des Studiums die Entsprechung von Eignung- und Anforderungsprofil stärkere Berücksichtigung finden.“ (Schaarschmidt 2005, S.152)

Die Mischung aus fehlender Kompetenz und ungünstiger persönlicher Disposition bei der Berufswahl bringt zwangsläufig Rollenbelastungen mit sich, die einer offensiven und problemorientierten Bewältigung bedürfen, um nicht in einem Burnout-Prozess zu enden.

3.1.2 Stress und Stressbewältigung bei Burnout

Im bisherigen Verlauf der Arbeit war bereits einige Male von Stress und Stressbewältigung die Rede. Hervorzuheben ist das Modell von Cherniss, in dem Stress und Stressbewältigung eine zentrale Rolle spielen. Ebenso wie im vorigen Kapitel, das die Folgen von Rollenerwartungen und die Zusammenhänge zwischen Burnout und Selbst-Präsentationen zum Thema hatte sollen nun die bisherigen Ergebnisse im Hinblick auf Stress und Stressbewältigung diskutiert werden.

Bisher fehlen Definitionen von Stress und Stressbewältigung, um die bisherigen Ausführungen genauer zu erklären. Insbesondere Stress und Stressbewältigung sollen im Zusammenhang mit Burnout und Selbstdarstellung, im folgenden Kapitel vorgestellt werde.

3.1.2.1 Das Stresskonzept von Lazarus

Eines der bekanntesten und einflussreichsten Stresskonzepte ist das Modell von Lazarus und seinen Mitarbeitern. Kern der transnationalen Stresstheorie ist die Annahme, dass jeder Mensch auf stresshafte Situationen individuell reagiert. Die Theorie wird als transaktional bezeichnet, weil sie die Transaktion, d.h. Die Wechselwirkung der Person und der Umwelt in Bezug auf Stress beschreibt.

Eine Situation kann für eine Person als sehr belastender Stresszustand empfunden werden und von einer anderen Person nicht einmal als Stresszustand wahrgenommen werden. Die entscheidenden Elemente, ob eine Situation als stresshaft eingestuft wird, sind die kognitive Bewertung und die Stressbewältigung der Person, das sogenannte “Coping“.

Enzmannn erklärt den Bergriff “Coping“ folgendermaßen:

„Coping ist der Prozess, mit dem ein Individuum die als streßhaft wahr-genommenen Anforderungen der Person-Umwelt Beziehung und die Streßemotionen reguliert.“ (Enzmann 1996, S.38)

Der gesamte Verlauf der Stresswahrnehmung und Stressbewältigung ist als Informationsverarbeitungsprozess zu verstehen (vgl. Jerusalem 1990, S.7ff.).

Innerhalb dieser Informationsverarbeitung werden von Lazarus drei Arten kognitiver Bewertungsprozesse unterschieden: die primäre Bewertung, die sekundäre Bewertung und die Nachbewertung.

Angenommen eine Person trifft auf Reize einer belastenden, stresshaften Situation.

Die Reaktion der Person ist abhängig von den drei Bewertungsprozessen.

Innerhalb der primären Bewertung wird beurteilt, ob die Situation Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Person hat. Bedrohungen des Wohlbefindens sind in erster Linie Schädigungen/Verlusterlebnisse. Unter Schädigungen bzw. Verlusten werden negative Beeinträchtigungen des Wohlergehens betrachtet, die nicht mehr abgewendet werden können z.B. berufliches Versagen oder Prestigeverlust. Durch Bewältigungsversuche können in diesem Fall nur die negativen Folgen gelindert werden. Bedrohungen sind befürchtete Verluste oder Schädigungen. Eine Person befürchtet in Zukunft eine problematische Situation nicht bewältigen zu können.

Eine dritte Möglichkeit innerhalb der primären Bewertungsprozesse sind Heraus-forderungen. Hiermit sind Situationen gemeint, die als bewältigbar eingeschätzt werden, d.h. die Anforderungen der Situation werden aufgrund der Einschätzung der eigenen Fähigkeiten als bewältigbar eingeschätzt

(vgl. Jerusalem 1990, S.8ff.).

Während sich primäre Bewertungsprozesse auf die Bewertung des Wohlbefindens beziehen, sind bei sekundären Bewertungsprozessen die selbst eingeschätzten Bewältigungsfähigkeiten von zentraler Bedeutung. Sekundäre Bewertungsprozesse sind sozusagen Einschätzungen der eigenen Bewältigungsmöglichkeiten und deren Erfolgswahrscheinlichkeiten. Hierbei werden alle Ressourcen, die der Person zur Verfügung stehen, mitberücksichtigt (soziale, physische, psychische und materielle Ressourcen) (vgl. Enzmann 1996, S.37f.).

Der Verlauf von primären zu sekundären Bewertungsprozessen ist nicht als eine zeitliche Abfolge zu sehen, sondern vielmehr als reziprokes Phänomen:

„Einschätzungen von Streßrelevanz und Bewältigungskompetenz sind wechsle-seitig aufeinander bezogene Informationsverarbeitungsprozesse, die gemeinsam in einer Person-Umwelt-Transaktion die Qualität des individuellen Streßerlebens ausmachen.“ (Jerusalem 1990 S.12.)

Bei dem dritten Bewertungsprozess, den sogenannten Neubewertungen handelt es sich um sekundärere und primärere Bewertungsprozesse zu einem späteren Zeitpunkt. Beispielsweise durch eine Rückmeldung über die Qualität der eigenen Arbeit durch einen Vorgesetzten. Das Auftreten neuer Informationen führt auch zu einer Neubewertung der Anforderungen und der eigenen Ressourcen.

(vgl. Jerusalem. 1990. S.13.). Durch diese Neubewertung kann die Situation als stresshafter als zuvor wahrgenommen werden, aber auch als weniger stresshaft. Enzmann sieht im Falle einer Linderung des erlebten Stressempfindens Neubewertungen bereits als „kognitives Coping“ an. (vgl. Enzmann. 1996. S.39).

Zusammenfassend ist zu sagen, dass individuelles Stresserleben wird nur durch individuelle, kognitive Bewertungsprozesse ausgelöst. Welche Reize als Stressoren erlebt werden ist individuell verschieden. Ob bestimmte Situationen Stressempfindungen auslösen, hängt davon ab, auf welchen “psychischen Boden“ sie fallen:

„Für Streßerleben sind die individuelle Bedeutsamkeit der Situation und Bedrohungswahrnehmung persönlicher Ziele, Werte u. Ressourcen entschei-dend.“ (Enzmann 1996, S.40)

 

3.1.2.2 Coping

Der Zusammenhang von Stress und Burmout findet sich in den meisten Burnout Theorien und Modellen wieder. Die Bewältigung von Stress ist in einigen von zentraler Bedeutung. Beispielsweise im Modell von Cherniss (s.2.2.3.1) wird defensives Coping als auslösendes Moment für einen Burnout-Prozess gesehen.

Im Folgenden sollen die grundlegenden Konzepte von Coping aufgezeigt werden.

Grundlegend kann die Funktion von Coping analog zur Erklärung von Enzmann

(s.3.1.2.1), als Reduktion eines Stresszustandes oder der Folgen von Stress angesehen werden. Hierbei ist zu beachten, dass es sich auch um Coping handelt, wenn die Verringerung der Stressmomente negative Folgen hat oder auch wenn evtl. kein Stress erlebt wird, weil das Sresserleben bereits durch automatisierte Verhaltensmuster (Coping) gemildert wurde (vgl. Enzmann 1996, S.57f.).

Daraus ergibt sich, dass bei Coping nicht zwangsläufig positive Resultate erzielt werden. Enzmann nimmt vielmehr an, dass Coping eine situationsspezifische – auch unbewusst ablaufende – Reaktion auf einen Stresszustand ist. Sowohl der Stresszustand als auch die Copingreaktionen können negative Folgen nach sich ziehen, d.h. Burnout kann das Resultat von Stress, von Copingreaktionen oder von beidem sein (vgl. Enzmann 1996 S.35.).

Zudem werden noch weitere Dimensionen des Coping unterschieden. Die Unterscheidung zwischen vermeidendem und konfrontierendem Coping wird in der Fachliteratur, gegenüber den Foki emotionsfokussiertes und problemfokussiertes Coping bevorzugt (vgl. Enzmann 1996, S.65).

Selbsterklärend wird bei vermeidendem Coping versucht, den stresshaften Elementen aus dem Weg zu gehen und bei konfrontierendem Coping eine zielgerichtete Auseinandersetzung mit den stresshaften Elementen gesucht.

Im Allgemeinen kann davon ausgegangen werden, dass konfrontierendes Coping geringere Stressfolgen nach sich zieht, als vermeidendes Coping, weil bei konfrontierendem Coping die Aufmerksamkeit eher auf die stresshafte Situation gerichtet ist und deshalb situationsspezifisch besser reagiert werden kann. Zusätzlich ist davon auszugehen, dass vermeidendes Coping aufgrund der stärkeren Auseinandersetzung mit der eigenen Person und der eigenen Befindlichkeit stresshafte Situationen verstärkt und anfälliger für psychosomatische Beschwerden macht (vgl. Enzmann 1996, S.65).

Neben den Dimensionen vermeidendes und konfrontierendes Coping halten einige Autoren eine zusätzliche Unterteilung, in direkte und indirekte Copingstrategien für sinnvoll (Enzmann,1996. ; Burisch, 2006.). Direkte Copingstrategien sind als aktiv handelnde und verhaltensbezogene Strategien zu verstehen. Indirekte Strategien werden als intrapsychische und kognitive Strategien aufgefasst (vgl. Enzmann 1996, S.65f.).

Daraus ergeben sich folgende Kombinationsmöglichkeiten:

1. Konfrontierend-direkte Strategien z.B. verstärkte Anstrengung

2. Konfrontierend-indirekte Strategien z.B. Problemanalyse

3. Direkt-vermeidende Strategien z.B. Flucht

4. Indirekt-vermeidende Strategien z.B. Verleugnung

3.1.2.3 Burnout, Stress und Coping in Bezug auf Selbstdarstellung

Damit die Zusammenhänge zwischen Stress, Coping und Burnout verdeutlicht werden können ist eine zum Teil wiederholende Erläuterung des bisher dargestellten Stresskonzeptes hilfreich.

Situationen sind potentielle Stressoren, die anhand dreier Bewertungsprozess eingeschätzt werden. Im primären Bewertungsprozess wird determiniert, ob die Situation (der Stressor) zu einem Stresszustand führt, indem die Wirkung der Situation auf das eigene Wohlbefinden bewertet wird. Während in primären Bewertungsprozessen die Intensität und Qualität des Stresses bestimmt wird, bestimmen sekundäre Bewertungsprozesse, ob die Situation für die Person bewältigbar ist.

Erst danach erfolgt die eigentliche Stressbewältigung, die sowohl automatisch als auch bewusst ablaufen kann. Die Copingreaktionen erfolgen situationsspezifisch in Abhängigkeit vom erlebten Stresszustand (primäre Bewertungsprozesse) und dem subjektiv zur Verfügung stehenden Bewältigungsrepertoire (sekundärere Bewertungsprozesse). Die Stressfolgen (Burnout) können ein Resultat des Stresszustandes oder der Copingreaktionen sein. (vgl. Enzmann. 1996. S.35).

Die Zusammenhänge zwischen Stress, Coping und Burnout werden in bestehenden Burnout-Theorien meist auf eine Passungsproblematik zwischen Situation und Person zurückgeführt. Beispielsweise in Cherniss Theorie, wonach die ungünstige Passung zwischen Person und Umwelt Stressquellen verursacht. Das Entstehen eines Burnout-Prozesses hängt letztlich von von der anschließenden Stressbewältigung ab (vgl. 2.2.3.1). Die Überbetonung der Umweltfaktoren in der Theorie von Cherniss kann als kritikwürdig angesehen werden, weil das individuelle Erleben und die individuellen Ressourcen, wie sie beispielsweise Schaarschmidt (vgl. 1.Einleitung) und Burisch (2.2.3.1) betonen, in der Theorie von Cherniss unberücksichtigt bleiben.

Im Gegensatz dazu weißt das Stresskonzept nach Lazarus sowie das vorgestellte Copingkonzept weisen auf eine stärkere Beteiligung individueller Faktoren hin.

Dieses Verhältnis – indiviueller Faktoren in Bezug auf einen Burnout-Prozess – soll im Folgenden in Zusammenhang mit den vorgestellten Theorien (vgl. 2.) und den bisherigen Interpretationen (vgl. 3.1.1.4) diskutiert werden.

Stresswahrnehmung als individueller Informationsverarbeitungsprozess, wird auch individuell bewältigt, d.h. Stress wird in Bezug auf das Selbstkonzept wahrgenommen und auch verarbeitet.

Zum einen wird während der primären Bewertungsprozesse – auch durch das Selbstkonzept – festgelegt, was ein Verlust für eine Person bedeutet.

Bewertungen und Bilder der eigenen Person legen gleichzeitig fest, ab wann diese Bilder von sich selbst nicht mehr aufrecht erhalten werden können und ein Angriff auf das Selbst als Identitätskomponente erfolgt ist. Zum anderen, muss das Selbstkonzept in einer transaktionalen Anforderungssituation dargestellt werden. Beispielsweise kann Depersonalisation (vgl. 2.2.1) sowohl als Copingreaktion als auch Selbstdarstellungsstaregie interpretiert werden, um in emotional belastenden sozialen Interaktionen – mit Schülern, Patienten oder Klienten – die eigene Handlungsfähigkeit aufrecht zu erhalten.

Aus dieser Perspektive kann Stressbewältigung generell als Selbstdarstellungs-verhalten interpretiert werden. Häufig sind Selbstdarstellungstechniken – im Sinne der Impression Management Theorie – fast deckungsgleich mit Copingreaktionen: z.B. sich als unvollkommen darzustellen, kann in Bezug auf Belastungsituationen, sowohl als defensive Selbstdarstellung, als auch als vermeidendes Coping angesehen werden.

Insbesondere die Unterteilung in konfrontierendes und vermeidendes Coping entspricht den unterschiedlichen Dimensionen der Selbstdarstellung als Aufforderung an andere (Machtaspekt vgl. 2.1.3.2). Copingstrategien können letztlich als Versuch aufgefasst werden, das eigene Selbstwertgefühl zu erhalten oder wieder herzustellen (vgl. 2.1.3.1).

Im Zusammenhang mit den Ergebnissen und Interpretationen des vorherigen Kapitels (vgl. 3.1.1) ist zu fragen, welche Auswirkungen Berufswahl und Rolle auf einen transaktionalen Stresserlebens- und Stressverarbeitungsprozess hat. Wie von Schaarschmidt geschildert, verfügt ein beachtlicher Teil der angehenden Lehrer über eine unzureichende Berufsmotivation. Es liegt die Vermutung nahe, dass diese unmotivierten Berufsanfänger den arbeitsbedingten Stress, aufgrund ihrer persönlichen Dispositionen und mangelnden Ressourcen von Anfang an anders erleben.

Gleichzeitig ist es zu bezweifeln, ob diese Berufsanfänger über geeignete Bewältigungsstrategien verfügen bzw. an geeigneten Strategien vor dem Einstieg in den Beruf gearbeitet haben.

Obwohl der Prozess von Stress zu Burnout als transaktional verstanden wird, sind individuelle Faktoren von zentraler Bedeutung, weil diese besser als betriebliche oder gesellschaftliche Strukturen beeinflussbar sind. Gerade für die Prävention und Bewältigung von Burnout, sind diese Personenfaktoren von immenser Bedeutung.

In Bezug Auf die Betrachtungsebenen nach Hübner (s.2.2.2), entwickeln sich die individuellen Ressourcen, sowie das Strategierepertoire und die Interaktions-kompetenz grundlegend durch Sozialisation. Dadurch werden Teile unseres Selbstkonzeptes ausgebildet. Werden diese Kompetenzen nur unzureichend ausgebildet ist eine später Ausbildung der Kompetenzen schwierig. Bei bestimmten, relativ stabilen persönlichen Dispositionen ist eine Veränderung kaum mehr zu realisieren.

Das Fehlen geeigneter Kompetenzen erhöht die Angriffsfläche von Stressoren auf das Selbstkonzept. Die Folge ist ein Burnout-Prozess, der ohne Intervention zum

Zusammenbruch der Person führt. Anders ausgedrückt: zu einer „Impulsion des Selbst“(Hansch 2003 S.119).

3.1.3 Kontrollverlust und Selbstdarstellung

Wie bereits unter Punkt 2.2.3.2 geschildert, ist der Verlust des subjektiv eingeschätzten Kontrollgefühls nach der integrierten Burnout-Theorie von Burisch ein entscheidendes Moment bei der Entstehung eines Burnout-Prozesses. Hierbei spielen auch die bisher vorgestellten Stresskonzepte eine entscheidende Rolle.

Stress erster Ordnung wird analog zur transaktionalen Stresstheorie nach Lazarus (vgl. 3.1.2.1.) durch subjektive Einschätzungen von Situationen, als Verlust, Bedrohungen oder Herausforderung. Stress zweiter Ordnung ist das Resultat von Hilflosigkeitserfahrungen. (vgl. Burisch. 2006. S.153f.).

Um die Theorie von Burisch besser in Zusammenhang mit den bisherigen Ausführungen und Interpretation der Arbeit zu bringen, wird im Folgenden die erlernte Hilflosigkeit nach Seligman – die auch als Grundlage für Burischs Theorie dient – in Kürze erläutert.

Anschließen wird Kontroll- bzw. Autonomieverlust als auslösendes Moment eines Burnout-Prozesses im Zusammenhang mit Selbstdarstellung interpretiert. Es sei darauf hingewiesen, dass von Burisch der Begriff Autonomiverlust fast synonym mit Kontrollverlust verwendet. Als Folge erlebter Hilflosigkeit aufgrund dauerhafter Autonomieeinbußen. Ich werde im Folgenden den Begriff Kontrollverlust verwenden auch wenn ich mich auf den Begriff Autonomieverlust von Burisch beziehe.

3.1.3.1 Erlernte Hilflosigkeit nach Seligman

Der grundlegende Versuch zur erlernten Hilflosigkeit wurde an Tieren durchgeführt. Es wurde beobachtet, dass Hunde aufgrund unvermeidbarer und unkontrollierbarer Elektroschocks, nach kurzer Zeit keine Versuche mehr unternahmen, um der Situation zu entgehen. Ähnliche Ergebnisse wurden in abgewandelten Humanversuchen beobachtet. (vgl. Edelmann. 2000. S.88f.).

Im Unterschied zu den Tieren, bei denen eine objektive Hilflosigkeit notwendig ist, um zu einer erlernten Hilflosigkeit zu führen, ist bei Menschen die subjektive Erwartung der Kontrollierbarkeit ausschlaggebend.

D.h. bei Menschen entsteht die erlernte Hilflosigkeit, wenn vom Individuum erwartet wird, dass die eigenen Versuche, die Situation zu bewältigen bzw. zu kontrollieren misslingen. Des Weiteren geht Seligman davon aus, dass Menschen solange nach Bewältigungsstrategien suchen, bis die Situation als subjektiv unkontrollierbar wahrgenommen wird. Hierbei fungieren Furcht und Frustration – die Resultate von stresshaften bzw. belastenden Situationen – als Motivation möglichst effizient nach Bewältigungsstrategien zu suchen. Anfangs unternimmt die betroffene Person durch diesen Mechanismus vermehrt Anstrengungen, um die Situation zu bewältigen. Nach längerem Ausbleiben des Erfolges gibt die Person schließlich auf.

Eingenommen von der Hilflosigkeit, der aversiven Situation nicht entgehen zu können, verschwendet die Person viel Energie durch der Konzentration auf die eigene Hilflosigkeit. Diese aufgewendete Energie fehlt der Person bei der Bewältigung und Verarbeitung der Situation. Das Resultat der erlebten Hilflosigkeit löst Konsequenzen auf drei Ebenen aus: emotionale Beeinträchtigungen ( Angst, Ärger, bis hin zur Depression), motivationale Beeinträchtigungen (Apathie) und kognitive Beeinträchtigungen (verminderte Fähigkeiten die Situation kognitiv zu analysieren…). (vgl. Burisch. 2006. S.105f.).

3.1.3.2 Kontrollverlust als Auslöser von Burnout in Bezug auf Selbstdarstellung

Die Theorie der erlernten Hilflosigkeit wurde in der Folgezeit durch die Dimension der Attribution erweitert. (vgl. Burisch. 2006. S.107f.).

Die Grundauffassung ist hierbei, dass das Erleben der Unkontrollierbarkeit einer Situation und deren Folgen von Attributionsprozessen abhängig ist. Attributionen sind Ursachenerklärungen durch subjektive Interpretation des Resultats.

Genauer gesagt, erklären Attributionen, wie eine Person die Ergebnisse ihrer Handlungen interpretiert.

Beispielsweise, inwieweit das Ergebnis einer Handlung aufgrund des eigenen Handelns, aufgrund der eigenen Fähigkeiten (internal), oder aufgrund der Umstände, die außerhalb der Person liegen (external), zustandegekommen ist

(vgl. Schmieta. 2000. S.123f.).

Bezogen auf die erlernte Hilflosigkeit, wurde interpretiert, dass nach der ersten Wahrnehmung einer unkontrollierbaren Situation, Attributionsprozesse bestimmen inwieweit sich die situationsbezogen erfahrene Hilflosigkeit, zu einer erlernten Hilflosigkeit weiterentwickelt.

Die Attribution von Hilflosigkeit äußert sich in 3 Dimensionen:

  • Internal/External: Entsteht die Hilflosigkeit aufgrund der eigenen Unfähigkeit oder aufgrund Ursachen, die außerhalb der Person liegen?
  • Stabil/Variabel: Dauerhaft oder einmalig hilflos.
  • Global/Spezifisch: Wirkt die Ursache auf vielfältige Sachverhalte oder nur auf einen bestimmten? (z.B. „bin ich im allgemeinen hilflos oder nur in bestimmten Situationen?“)

 

Es wird angenommen, dass eine internale, globale und spezifische Attribution der Hilflosigkeit mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Depression führt.

An dieser Stelle sei erwähnt, dass Depression zum einen in vielen Phasentheorien als Endstadium von Burnout betrachtet wird, zum anderen aber schwer von Burnout abgrenzbar ist.

Der Zusammenhang zwischen dem Selbstkonzept und der Attribution in Bezug auf Burnout, wurde bereits von Schmieta dargestellt. (vgl. Schmieta. 2000.S.136ff.). In dieser Darstellung wird zwischen einem positiven und einem negativem Selbstkonzept unterschieden.

Ein positives Selbstkonzept ist gekennzeichnet durch gesunde und sozial erwünschte Merkmale z.B. ein positives Selbstwertgefühl. (vgl. Schmieta. 2000.S.220f.). Analog dazu weisen negative Selbstkonzepte häufiger negative Merkmale wie z.B. Ängstlichkeit auf.

Ob ein Selbstkonzept negativ oder positiv ausfällt, hat Einfluss auf die Attribution und damit auch auf das subjektive Erleben von Hilflosigkeit. Personen mit einem positivem Selbstkonzept erklären Erfolge eher internal und Misserfolge eher external. (vgl. Schmieta. 2000.S.136ff.).

Bei einem negativen Selbstkonzept ergeben sich umgekehrte Attributionsmuster.

Daraus ergibt sich, dass eine subjektive Hilflosigkeitserfahrung wahrscheinlicher durch den Attributionsstil auftritt, der mit einem negativem Selbstkonzept in Zusammenhang steht. Letztlich ist die Hilflosigkeitserfahrung abhängig vom Selbstkonzept. Wie bereits erwähnt, steht das Selbstkonzept in Zusammenhang mit der eigenen Sozialisation (vgl. 2.2.2). Diese Beziehung zwischen Selbstkonzept und der individuellen Sozialisation lässt den Schluss zu, dass aufgrund der individuellen Sozialisationsgeschichte mitbestimmt ist, inwieweit subjektive Hilflosigkeitserfahrungen entstehen können.

Wie bereits mehrfach erwähnt, werden Hilflosigkeitserfahrungen und eine mangelnde Fähigkeit zu deren Bewältigung von Burisch als ein Hauptauslöser von Burnout angesehen (vgl. 2.2.3.2).

Diese Erklärung ist naheliegend aber sie lässt auch die Interpretation zu, Hilflosigkeit als eine Bewältigungsstrategie zu verstehen. Allerdings als eine negative Bewältigungsstrategie, die einen Burnout-Prozess auslösen oder sogar vorantreiben kann. Durch das Aufgeben vermeidet das Individuum weitere Enttäuschungen, die das Resultat einer Vielzahl missglückter Bewältigungsversuche sind. Gleichzeitig wird die Hilflosigkeit zu einer dauerhaften Belastung, weil durch die erlebte und auch umgesetzte Hilflosigkeit eine mangelnde Handlungsfähigkeit präsentiert wird.

Eine Depression oder Burnout ist denkbar, als

Folge einer dauerhaften Diskrepanz zwischen Ideal- und Real-Selbst und einer unausweichlichen Belastungssituation (z.B. Beruf).

Die Betrachtung des Kontrollverlustes im Hinblick auf die „Impression Management Theorie“ (s. 2.1.3.2) eröffnet eine weitere interessante Perspektive. Eine Person versucht sich angemessen in der Situation zu präsentieren, d.h. sie stellt sich so dar, dass ein bestimmter Eindruck dieser Person, je nach Situation, vom Publikum akzeptiert wird. Beispielsweise als kompetenter und engagierter Lehrer vor Schülern und Kollegen.

Im gelingenden Fall steigert oder erhält die Person durch eine akzeptierte Selbstdarstellung die eigene Selbstwertschätzung. (vgl. Mummendey,1995. S.134). Die Person erhält oder erreicht eine positive Selbstwertbilanz und hat aufgrund ihrer Glaubwürdigkeit durch die erfolgreiche Selbstdarstellung immer noch die Möglichkeit soziale Macht auf das Publikum auszuüben. Bei einem Kontrollverlust gehen zum einen die Einflussmöglichkeiten, soziale Macht auszuüben, zurück, zum anderen kann die negative Selbstwertbilanz bei wiederholtem Scheitern nicht aufrecht erhalten werden. Die Person muss letztlich zu anderen Selbstdarstellung-Strategien wechseln, damit sie ihre Glaubwürdigkeit nicht verliert (z.B. Ein Lehrer der offensichtlich fachliche Fehler in seinem Fach begeht, kann sich nicht dauerhaft als Experte seines Faches darstellen). Letztendlich kann Hilflosigkeit auch als Selbstdarstellung des Kontrollverlustes interpretiert werden.

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