Burnout

2.2 Burnout: Begriff und Erklärungskonzepte

2.2.1 Begriff und Begriffsgeschichte

Um die Metapher Burnout und die damit verbundenen Problematiken verständlich zu machen, ist es hilfreich sich mit der Geschichte des Begriffes auseinander-zusetzen. Der Psychoanalytiker Herbert Freudenberger wird in der Literatur als eine der prägenden Figuren des Burnout Begriffes angesehen

(Rook. 1998; Burisch. 2006; Hedderich. 2009.).

Freudenberger war neben seiner Tätigkeit als Psychoanalytiker in seiner Privatpraxis noch in ehrenamtlichen „freien Kliniken“ („free clinics“), d.h. Rehabilitation- und Selbsthilfeeinrichtungen, tätig. Er stellte fest, dass er und seine ehrenamtlichen Kollegen anfangs hochmotiviert und engagiert waren, aber im Laufe ihrer Arbeit psychisch und physiologisch immer mehr abbauten. Sie waren zum einen erschöpft und ausgelaugt, zum anderen entwickelten sie sich von engagierten „Helfern“ zu zynischen und z.t. Aggressiven Mitarbeitern. Freudenberger bezieht sich bei seinen Beschreibungen stets auf sich selbst und seine Mitarbeiter in den sogenannten „free Clinics“ (vgl. Rook 1998, S.15 ff.).

Er benutzte das Englische Verb „to burn out“, um das beobachtete Phänomen zu erklären. Zu Beginn seiner Arbeiten bezog sich das Phänomen des „Ausbrennens“ ausschließlich auf soziale Helferberufe. In seinen späteren Arbeiten erweiterte Freudenberger den Personenkreis der besonders von Burnout gefährdeten auch auf andere Tätigkeitsfelder. Burisch stellt für das Gesamtwerk Freudenbergers heraus, dass insbesondere die Diskrepanz zwischen den eigenen Erwartungen und der Realität in der beruflichen Tätigkeit Freudenbergers Erklärung für Burnout ist. Dabei sind die nicht verwirklichten eigenen Erwartungen oder die von der Erwartung abweichende Belohnung das auslösende Moment für Burnout

(vgl. Burisch 2006, S.50f.).

Während die Arbeiten Freudenbergers besonders für die Pionierphase, der Burnout Forschung von Bedeutung sind, leitet die Sozialpsychologin Christina Maslach die empirische Phase ein (vgl. Rook 1998, S.56ff). Maslach untersuchte kognitive Prozesse bei Menschen in emotional belasteten Situationen (z.B. Rettung-personal, Ärzte, Polizisten …). In Interviews mit Mitarbeitern im Gesundheitsbereich stellte sie fest, dass bestimmte Erfahrungen und Verhaltensweisen vermehrt auftraten.

Sie griff bei der Erklärung der Phänomene auf bestehende wissenschaftliche Konstrukte wie: „Dehumanisierung“ zurück, d.h. ein aggressives und zynisches Verhalten gegenüber Patienten oder Klienten und sie interpretierte die emotionale Belastung als Ursache. Eher zufällig stellte sie fest, dass für die beobachteten Phänomene bereits ein Begriff existiert: Burnout

(vgl. Rook 1998, S.56ff).

Sie entwickelte das so genannte MBI (Maslach Burnout Inventory), einen Frage-bogen, der Burnout in drei Merkmale aufgliedert und gleichzeitig einen Phasen-verlauf vorgibt. Demnach ist Burnout durch eine erste Phase der emotionalen Erschöpfung gekennzeichnet, die nach Ansicht Maslachs, durch den Kontakt mit anderen Menschen entsteht und unter anderem durch die Asymmetrie der Beziehung hervorgerufen wird. In einer zweiten Phase tritt als Reaktion auf die emotionale Erschöpfung Depersonalisation auf, d.h. eine negative und zynische Einstellung gegenüber Personen, die mit der Arbeit in Zusammenhang stehen (vgl. Burisch 2006, S.50f.). Demzufolge resultiert eine negativ eingeschätzte, persönliche Leistungsfähigkeit in der dritten Phase. Dadurch wird Burnout definiert und gleichzeitig werden dessen Symptome beschrieben.

Ebenso wie Freudenberger bezog sich Maslach, bei ihrer Beschreibung, anfangs nur auf Arbeit mit Menschen. Sie erweiterte in ihren neueren Werken den betroffenen Personenkreis (vgl. Burisch 2006, S.17). Das MBI ist auch heute noch eines der meist genutzten Messinstrumente in der Burnout-Forschung, obwohl es nicht kritikfrei bleibt (vgl. Rook. 1998. S. 43).

Es herrscht Diskussion darüber, wer genau die Metapher Burnout für die beschriebenen Prozesse geprägt hat (vgl. Burisch. 2006. S.6f.). Es ist aber eindeutig, dass die intuitiv verständliche Beschreibung des Prozesses sowohl zur Popularität, als auch zur unwissenschaftlichen „Aushöhlung“ des Begriffes beigetragen hat (vgl. Hübner. 2009. S.52).

Wie bereits erwähnt, gibt es weder eine allgemein anerkannte Definition noch eine allgemeingütige Theorie (s.1). Deshalb greife ich nicht auf eine der bestehenden Definitionsversuche zurück, sondern beschreibe Burnout als individuellen Prozess der subjektiven Verarbeitung objektiver Belastungssituationen, bei dem diverse Symptomen auftreten können: von anfänglichen Warnsymptomen über reduziertes Engagement und emotionalen Reaktionen bis hin zu psychosomatischen Reaktionen und existenzieller Verzweiflung (vgl. Burisch 2006, S.24ff.).

2.2.2 Ebenen der Betrachtung nach Hübner

Eine umfassende Perspektive auf den Burnout-Begriff liefert Hübner mit seinem Vorschlag, Burnout in einem interdisziplinären Ansatz auf vier verschieden Ebenen zu betrachten, um der Gefahr zu entgehen, nur einzelne Aspekte von Burnout zu erfassen. Die individuelle Ebene meint die Entstehung von Persönlichkeits-eigenschaften, emotionalen Mustern und persönlichen Dispositionen. Diese sozialisierten Eigenschaften bilden die Basis für die subjektiven Verarbeitungs- und Integrationsprozesse. Sie bilden sozusagen die Grundlagen unseres Selbst-konzeptes.

Auf das Phänomen Burnout bezogen dokumentiert die individuelle Betrachtung-ebene welche persönlichen Ressourcen in Konflikt- und Stresssituationen zur Verfügung stehen und insbesondere bei der Bewältigung dieser Situationen von Bedeutung sind. Die individuelle Ebene ist Vorraussetzung für die zweite Ebene der Betrachtung – die interaktionistische Ebene.

Auf dieser Ebene werden die erworbenen Persönlichkeitsmerkmale in die Interaktion mit der Umwelt eingebracht und dadurch eignet sich die Person kulturspezifische Interaktions- und Kommunikationstechniken an. Der Prozess der Entwicklung der Persönlichkeitseigenschaften und der Aneignung der Interaktionstechniken läuft parallel ab. In Bezug auf Burnout sind diese Interaktionsfähigkeiten insbesondere in den Anforderungssituationen des beruflichen Alltags von Bedeutung. Sie ermöglichen vielfältige Alternativen sich selbst darzustellen, Konflikte und Anforderungen zu meistern oder problematische Situationen gekonnt zu bewältigen. Während auf individueller Ebene die persönlichen Beanspruchungsfaktoren festgelegt werden, bestimmt die interaktionistische Ebene wie Konflikt- und Anforderungssituationen bewältigt werden und wie das Selbst dargestellt wird. Den ersten beiden Ebenen ist gemeinsam, dass sie das Individuum in den Fokus der Betrachtung setzen. Die institutionelle Ebene ist das dritte Element der Betrachtung. Hübner betrachtet Institutionen zum einen als Sozialisationsinstanzen, die einen immensen Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung und Interaktionsfähigkeiten haben, zum anderen werden die Institutionen hinsichtlich ihrer Gestaltung einer Arbeitsumwelt betrachtet, die sich auf die Arbeitsbedingungen und die objektiven Belastungs-faktoren auswirkt.

Die vierte Betrachtungsebene, die global-gesellschafttliche Ebene, bezieht sich

auf kulturelle, politische und ökonomische Strukturen, d.h. auf gesamt-

gesellschaftliche Werthaltungen, die konstitutiv für die Persönlichkeitentwicklung und Sozialisation des Individuums sind, sowie in Form von gesellschaftlichen Spannungen und politisch-ökonomischen Konflikten auch Ursache für die objektive Belastungssituation sein können (vgl. Hübner 2009, S.17ff.).

Das Besondere von Hübners Betrachtungsebenen ist meines Erachtens nach,

die Betrachtung verschiedener Dimensionen und deren Wechselwirkung.

Das Burnout-Syndrom ausschließlich oder hauptsächlich aus Umweltfaktoren zu erklären, wird nur von einem kleinen Kreis in der Burnoutforschung geteilt. Vielmehr zeigen die sozialisatorischen Entwicklungen des Individuums, die Strukturen von Institutionen sowie kulturelle Werthaltungen, eine Vielzahl von Interpretationsmöglichkeiten auf.

Letztlich interpretiert Hübners Modell Burnout als komplexen Prozess, der durch ein Zusammenwirken vieler Faktoren auftritt. Auf das Thema der Arbeit bezogen wird deutlich, dass auch das Selbstkonzept mit allen vier Ebenen in Zusammenhang steht. Das Selbstkonzept bildet sich auf einer individuellen und interaktionistischen Ebene und in Abhängigkeit von sozialisationsrelevanten Institutionen heraus. Zusätzlich ist das Selbstkonzept, in seiner Präsentation nach außen abhängig von gesamtgesellschaftlichen Normen und institutionellen Strukturen, die als Raum für die Selbstdarstellung gelten können.

Die institutionell und global-gesellschaftlich erzeugten objektiven Belastung-faktoren können nur subjektiv, in Abhängigkeit von der individuellen und interaktionistischen Entwicklung verarbeitet und dargestellt werden. Letztlich bezieht sich Selbstdarstellung im Allgemeinen und auch im Zusammenhang mit Burnout immer auf eine Wechselwirkung der vier Ebenen.

2.2.3 Erklärungsansätze zur Entstehung von Burnout

2.2.3.1 Transaktionale Burnout-Theorie nach Cherniss

Die umfangreiche empirische Forschung von Cary Cherniss beleuchtet das Thema Burnout aus der Perspektive des „Praxisschocks“ (vgl. Burisch 2006, S.64f.).

Seine Interviewstudie über die sogenannten „new professionals“ befasst sich mit Berufseinsteigern, verschiedener Dienstleistungsfelder, in den ersten beiden Berufsjahren. Ziel seiner Untersuchung war es herauszufinden wie subjektive Bewältigung und die Anpassung an die Arbeitssituation ablaufen. Grundlegender Einfluss der gesamten Forschung ist eine „sozial-ökologische Perspektive“ (Rook 1998, S.46), die von einer Wechselwirkung individueller Faktoren und Umwelt-bedingungen ausgeht. (vgl. Rook 1998, S.44f).

Cherniss veröffentlicht zwei Bücher mit den Ergebnissen seiner Studien, die eine eigene Burnoutkonzeption, eine eigne Burnoutdefinition und insbesondere in der zweiten Buchveröffentlichung einige Bezugspunkte zu bereits bekannten theoretischen Konstrukten beinhalten (vgl. Rook 1998, S.44ff).

„Cherniss definiert dort Burnout als einen Prozess, in welchem ein ursprünglich engagierter Professioneller sich, als Reaktion auf in der Arbeit erfahrene(n) Stress von seiner oder ihrer Arbeit zurückzieht oder als einen Prozess, in dem die Einstellungen und Verhaltensweisen von Professionellen sich in negativer Weise im Sinne von Reaktionen auf Arbeitsbelastungen verändern.“ (Rook 1998, S.44)

Diese Burnoutdefinition wird in Anlehnung an die Stresstheorie von Lazarus als transaktional bezeichnet, weil sie die Interaktion der Person und der Umwelt anhand von drei Elementen beschreibt: Arbeitsstress, Stressreaktionen und entweder gelingender Bewältigung oder Burnout aufgrund von defensiven Bewältigungsversuchen(vgl. Hedderich 2009, S.16f).

Burisch beschreibt das Burnoutkonzept von Cherniss, analog zu den Vorannahmen einer Wechselwirkung von individuellen Faktoren und Umweltfaktoren, bestehend aus acht arbeits- und klientenbezogenen Umweltfaktoren und zwei personen-bezogenen Faktoren (vgl. Burisch 2006, S.65ff.). Je nachdem welche Faktoren im Rahmen dieser Person-Umwelt-Interaktion aufeinandertreffen, determinieren die daraus resultierenden Stress-Quellen, die zu einem „Praxisschock“ und bei nicht erfolgreicher Bewältigung zu einem Burnout-Prozess führen können (vgl. Burisch 2006, S.65ff.):

a) Die personenbezogenen Faktoren:

1. Karriereorientierung

Für Cherniss drückt der Faktor Karriereorientierung aus „…was Arbeit und Beruf für das Individuum bedeuten, was es zu investieren bereit ist, und was es für einen Gewinn erwartet.“ ( Burisch 2006, S.66.)

Cherniss unterscheidet vier Typen der Karriereorientierung: den „Sozial Engagierten“, „den Freischaffenden“, „den Karrieristen“ und den „Selbstbestimmten Individualisten“. Cherniss stellte die Hypothese auf, dass die „Sozial Engagierten“ und die „Selbstbestimmten Individualisten“ mit größter Wahrscheinlichkeit an Burnout erkranken würden, weil diesen beiden Typen der Karriereorientierung häufig die Erfolgserlebnisse fehlen würden. Die Hypothese blieb unüberprüft. Cherniss stellte aber fest, dass es zu einer Änderung der Karriereorientierung nach der Berufseinstiegsphase kam und es nach den zwei Jahren Berufseinstieg keine „sozial Engagierten“ mehr gab. ( Burisch 2006, S.66.)

2.Unterstützung/Beanspruchung außerhalb der Arbeit

Cherniss geht nach seinen Befragungen davon aus, dass stabile Beziehungen vor Burnout schützen können und alleinlebende oder Personen mit häufigen privaten Konflikten unter einem erhöhtem Burnout Risiko stehen.

b) Die Umweltfaktoren:

1. Einführungsprozesse: Diese können sich zu Stress-Quellen entwickeln, wenn die Neulinge ohne Orientierungsphase mit hohen Anforderungen konfrontiert werden, weil es dadurch zu einer „Kompetenzkrise“ kommen kann, wodurch das Selbst-bewusstsein des Betroffenen angegriffen werden kann.

2. Arbeitsbelastung: Bei quantitativer und qualitativer Arbeitsbelastung ist die Gefahr der Rollenüberlastung gegeben.

3. Anregung: Die Mitarbeiter sollten auch intellektuell angeregt werden, damit es nicht zu einem Unterforderungsgefühl kommt. Burisch interpretiert Unterforderung als Angriff auf das Selbstwertgefühl des Betreffenden, weil seine Fähigkeit als zu gering eingeschätzt wahrnimmt.

4. Klientenkontakt: Dieser kann problematisch werden, wenn zu wenig Profession-nelle Distanz gewahrt wird.

5. Professionelle Autonomie: Der Entscheidungsspielraum und die Anforderungen müssen auf die einzelnen Mitarbeiter abgestimmt sein, weil eine ungünstige Passung negativ auf die Leistungsmotivation wirken kann.

6. Arbeitsziele: Eindeutigkeit und Verbindlichkeit der Arbeitsziele sollte festgelegt werden, damit Rollenkonflikte und Rollenunklarheit vermieden werden können.

7. Führung: Dieser kommt nach Cherniss große Bedeutung zu, weil durch gute Führung eine Balance zwischen anregender Arbeit und den nötigen Handlungs-spielräumen realisiert werden kann. Wodurch ein positives Betriebsklima geprägt werden kann.

8. Kollegen/Mitarbeiter: Das Verhältnis zu den Kollegen und Mitarbeitern ist von besonderer Bedeutung für die Burnoutthematik. Eine positive soziale Einbindung und positive Atmosphäre zwischen den Mitarbeitern stellt eine Schutzfunktion gegen Burnout dar. Umgekehrt kann ein soziale Isolation und belastende Konkurrenzsituationen – bis hin zu Mobbing – Burnout-Erscheinungen fördern.

Durch eine ungünstige Interaktion zwischen den individuellen Faktoren und den Umweltfaktoren entstehen Stressquellen wie z.B. Zweifel an der eigenen Kompetenz. Je nachdem wie es dem Betroffenen möglich ist diesen Stress zu bewältigen werden Burnout-Prozesse eher vermieden oder in Gang gesetzt. Bei einer positiven Bewältigung, im Sinne von problemorientiertem Coping, werden im Idealfall die Probleme beseitigt. Problematisch sind hingegen misslingende Bewältigungsversuche, weil es durch diese Negativerfahrung zu Einstellungs-änderungen kommen kann, die vergleichbar mit Depersonalisation sind und Burnout-Prozesse auslösen bzw. einleiten können. Diese Einstellungsänderungen verschärfen die Stressquellen und erzeugen, im ungünstigsten Fall, einen Teufelskreis zwischen Stressquellen und Einstellungsänderungen. Zusammen-fassend sind die defensiv-negativen Bewältigungsversuche in diesem Modell der Auslöser für Burnout-Prozesse.

2.2.3.2 Die integrierende Burnout-Theorie nach Bursch

Ähnlich wie in Cherniss transaktionalem Ansatz, ist auch in der integrierenden Burnout-Theorie der erlebte Stress und dessen Verarbeitung ein zentrales Element. Im Gegensatz zu Cherniss, dessen Forschungen und Veröffentlichungen schon lange Jahre zurückliegen und deshalb – im Sinne der damaligen Forschung-tradition – von einer Überbetonung der Umweltfaktoren ausgehen, betont Burisch die Subjektivität jedes Burnoutfalles: „ Jeder Fall ist anders“. (Burisch 2006, S.147.)

Das heißt jeder brennt durch seine innere Realität auch individuell aus, denn die Verarbeitung von Stress und Belastungen ist ein subjektiver Verarbeitungsprozess, der durch die spezifische Faktoren des Individuums wie beispielsweise Frustra-tionstolaranz determiniert wird.

Ein zentraler Begriff der integrierenden Burnout-Theorie ist die Autonomie. Nach Burischs Ansicht streben Menschen danach ihre Umwelt Interaktionen in einem Höchstmaß – zumindest nach ihrer subjektiven Empfindung – zu kontrollieren. Der Verlust des subjektiven Kontrollgefühls kann Stressreaktionen hervorrufen. Burisch unterscheidet hierbei Stress erster und zweiter Ordnung. Stress erster Ordnung wird durch Bedrohungen oder Herausforderungen hervorgerufen, die mit einem subjektiven Gefühl von Hilflosigkeit – also Autonomieverlust – verbunden sind. Stress zweiter Ordnung meint die auf den subjektiv erlebten Kontrollverlust folgende Stressreaktion, die aufgrund der kumulierten Autonomieverlust-Erlebnisse zu Reizgeneralisierung führen kann. Das Modell des Autonomieverlustes wendet Burisch auf Begriffe der Motivationspsychologie an. Hierbei geht er von personen-spezifischen Motivprofilen aus, die in bestimmten Situationen aktiviert werden. Beispielsweise könnte ein Motivprofil sein, ein pädagogisch und menschlich besonders guter Lehrer zu sein. Dieser fiktive Lehrer würde in einer zum Motiv passenden Situation (z.B. er übernimmt eine schwierige Klasse mit schlechten schulischen Leistungen) je nach subjektiver Einschätzung der Erfolgswahr-scheinlichkeit seines Vorhabens aktiv werden.

Im gelingenden Fall würde er sein Ziel erreichen (z.B. Kein Schüler muss die Klasse wiederholen) und dieses Erfolgserlebnis würde seine Motivation, Schüler besonders zu fördern, bestärken. Burisch nennt diesen Verlauf eine ungestörte Handlungsepisode, d.h. eine erwartete und belohnte Entwicklung einer Situation vom Ist-Zustand zum Soll-Zustand. Problematisch sind aber gestörte und insbesondere kritische Handlungsepisoden. Burisch unterscheidet vier Störfälle einer Handlungsepisode (Zielvereitelung, Zielerschwerung, ausbleibende Beloh-nung und negative Nebenwirkungen), die zu einer gestörten Handlungs-episode führen (vgl. Burisch 2006, S.147ff.).

Er betont aber, dass nicht die gestörte Handlungsepisode einen Burnout-Prozess auslöst, sondern die darauf folgende Stressbewältigung (Coping).

Die kritischen Handlungsepisoden beschreiben den Prozess einer nicht aus-reichenden Bewältigung, einer gestörten Handlungsepisode. Beispielsweise wird auf den auftretenden Stress inaktiv und direkt durch Ignoranz oder Vermeidung der Stresselemente reagiert. Kritische Handlungsepisoden sind besonders problema-tisch und können der Auslöser eines Burnout-Prozesses sein.

Zusammenfassend erleben Ausbrenner subjektiv öfter gestörte Handlungs-episoden, scheitern öfter an der Stressbewältigung und haben zudem meist riskante Motive, die häufig frustriert werden. Der subjektiv eingeschätzte Kontrollverlust, der zu Stress 2. Ordnung führt, d.h. Stress durch erlebte Hilf-losigkeit, und die nicht ausreichende Bewältigung des erlebten Stresses sind die Hauptursachen für Burnout, im Modell von Burisch (vgl. Burisch 2006, S.150ff.).

2.2.4 Die Potsdamer Lehrerstudie nach Schaarschmidt

Entgegen der weiterverbreiteten Meinung: Lehrer sei ein einfacher Beruf mit relativ guter Bezahlung, einem Übermaß an Freizeit und kaum anderer Belastungs-faktoren, zeichnet sich laut Schaarschmidt (2005), dem Leiter der bereits 1995 begonnen Arbeiten zur psychischen Gesundheit im Lehrerberuf, ein anderes Bild der Tätigkeit eines Lehrers ab:

„ So ist es bei weitem nicht genug, wenn ein Lehrer seinen Unterrichtsstoff beherrscht und ihn didaktisch gut aufzubereiten vermag . Die schwierigeren Aufgaben liegen meist in anderen Bereichen. Es sind insbesondere die sozial-kommunikativen, emotionalen und motivationalen Anforderungen, die sich oftmals als komplex und widersprüchlich und damit schwer erfüllbar erweisen. Da wird einerseits soziale Sensibilität verlangt, andererseits aber auch – vor allem in Bezug auf die eigene Person – ein hohes Maß an Robustheit.

Gewünscht ist ein empathisches und partnerschaftliches Verhalten gegenüber den Schülern, doch zugleich ist es unumgänglich, zur Selbstbehauptung und Durchsetzung in der Lage sein. Gefordert sind Verantwortungsbewusstsein ein hoher Anspruch an die Güte de eignen Arbeit, andererseits kommt der Lehrer nicht umhin, sich mit viel Unvollkommenem und Unerreichtem abfinden und permanent mit dem Gefühl des Nicht-Fertig-Seins leben zu müssen.

Nicht zu unterschätzen sind auch die zu erbringenden Aufmerksamkeitsleistungen, die dadurch charakterisiert sind, dass ständig zugleich ein hohes Maß an fokussierter (auf den einzelnen Gegenstand oder Schüler gerichteter) und verteilter (auf das ganze Geschehen in der Klasse bezogener Aufmerksamkeit gefordert ist. In welchem Beruf wird eine solche Leistung über Stunden hinweg abverlangt, ohne dass Phasen der Entspannung zwischengeschaltet wären? … Und schließlich ist das lehrertypische Problem eingeschränkter Distanzierungsfähigkeit nicht zu vergessen. … Viele Partner von Lehrern klagen darüber, dass die Schule in ihrem Familienleben ständig präsent seien.

Dies ist zum einen dadurch bedingt, dass zahlreiche Arbeiten zu Hause zu erledigen sind, die Abgrenzung von beruflicher und privater Sphäre somit schon räumlich-zeitlich nicht möglich ist. Aber von noch größerem Gewicht dürfte sein ,dass die Erlebnisse aus dem Schulalltag die Betroffenen nicht zur Ruhe kommen lassen. … Und es sind gerade die negativen Gefühle wie Enttäuschung, Kränkung und Ärger, die besonders nachhaltig wirken.“

(Schaarschmidt. 2005. S.15f.)

In der Potsdamer Lehrerstudie wurde, wie bereits erwähnt, die psychische Gesundheit im Lehrerberuf analysiert. Zudem wurden noch Gesundheitsressourcen mitberücksichtigt. Die gesamte Arbeit umfasste bis zur Buchveröffentlichung 2004 17000 Personen, die an der Studie teilnahmen, von denen 7693 Lehrer in der ersten Erhebungswelle den Kern der Untersuchung ausmachten.

Als Erhebungsverfahren wurde das von der Gruppe um Schaarschmidt entwickelte diagnostische Verfahren des Arbeitsbezogenen Verhaltens- und Erlebensmuster (AVEM) verwendet.

Um eine bessere Übersichtlichkeit zu gewährleisten, werde ich die Einzelheiten der Untersuchung im Folgenden aufgegliedert darstellen.

Das AVEM ist ein Fragebogen mit 66 Items, die 11 Dimensionen des arbeitsbe-zogenen Verhaltens und Erlebens zugeordnet werden:

  1. Bedeutsamkeit der Arbeit
  2. Beruflicher Ehrgeiz
  3. Verausgabungsbereitschaft
  4. Perfektionsstreben
  5. Distanzierungsfähigkeit
  6. Resignationstendenz
  7. Offensive Problembewältigung
  8. Innere Ruhe und Ausgeglichenheit
  9. Erfolgsstreben im Beruf

10.Lebenszufriedenheit

11.Erleben sozialer Unterstützung

Diese 11 Dimensionen lassen sich in drei Bereiche ausdifferenzieren:

Unter Arbeitsengagement lassen sich die Dimensionen von 1-5 subsumieren. Unter Widerstandskraft fallen die Dimensionen 6-8, sowie die Dimension 5. Die Dimensionen 9-11 sind im Bereich Emotionen zusammengefasst (vgl. Hübner 2009, S.95ff).

Aus den Ergebnissen der Befragungen werden die ermittelten Dimensionen und deren Ausprägung (z.B. Bedeutsamkeit der Arbeit hoch und gleichzeitig mangelnde Distanzierungsfähigkeit) zueinander in Beziehung gesetzt, damit daraus ein Profil (Muster) entwickelt werden kann. Im Rahmen mehrerer empirischer Erprobungen wurden so vier, „stabile und replizierbare“ (Schaarschmidt. 2005. S.24.) Muster ermittelt:

Muster G

Das zentrale Merkmal diese Musters ist der Gesundheitsaspekt.

Es handelt „sich um das wünschenswerte Muster arbeitsbezogenen Verhaltens und Erlebens.“ (Schaarschmidt. 2005. S.24.). Weil es sich hierbei um eine gesundheits-förderliche Beziehung zur Arbeit handelt.

Auf die drei Bereiche bezogen zeichnet sich folgendes Bild ab: ein ausgeprägtes Arbeitsengagement ohne exzessiv zu sein, eine hohe Widerstandskraft und gleichzeitig positive Emotionen in Verbindung mit der Arbeit.

Muster S

Hier wird das Verhältnis zur Arbeit mit einer ausgeprägten Schonungstendenz charakterisiert. Muster S ist gekennzeichnet durch das geringste Arbeits-engagement der vier Muster, einer ausgeprägten Widerstandskraft und ausgewogenen Emotionen. Hervorzuheben sind hierbei die ausgeprägte Distanzierungsfähigkeit, das geringe Perfektionsstreben und die ausgeprägte Innere Ruhe/Ausgeglichenheit. Nach der Einschätzung Schaarschmidts sollte das Muster S weniger unter dem „Gesundheitsaspekt“ als vielmehr unter dem „Motivationsaspekt“ betrachtet werden. (Schaarschmidt 2005, S.24.)

Risikomuster A

Die Risikomuster beschreiben eine Gesundheitsgefährdung im arbeitsbezogenen Verhaltens- und Erlebensmuster der jeweiligen Person. Dieses Muster ist vor allem durch ein übersteigertes Arbeitsengagement geprägt, welches sich durch die hohen Ausprägungen bei der Bedeutsamkeit der Arbeit, dem Perfektionsstreben und der Verausgabungsbereitschaft erkennen lässt. Problematisch hierbei ist der „eindeutig niedrigste Wert in der Distanzierungsfähigkeit“.

(Schaarschmidt 2005, S.26)

Zudem ist noch eine geringe Widerstandskraft bei gleichzeitig negativen Emotionen hervorzuheben, worauf die geringen Werte der inneren Ruhe/Ausgeglichenheit und der Lebenszufriedenheit nach Schaarschmidt schließen (vgl. Schaarschmidt 2005, S.26).

Risikomuster B

Dieses Muster weißt bestimmte Parallelitäten zum Muster S auf, denn auch beim Risikomuster B ist ein geringes Arbeitsengagement, d.h. geringe Werte bei der subjektiven Bedeutsamkeit der Arbeit und dem beruflichen Ehrgeiz, konstitutiv für die Musterbestimmung.

Der entscheidende Unterschied ist die geringe Distanzierungsfähigkeit, die begleitet wird von einer geringen Widerstandskraft und von negativen Emotionen bei beruflichen Belastungen. Diese Beschreibung kommt den Punkten emotionale Erschöpfung und Leistungsunzufriedenheit aus der Burnoutdefinition von Maslach (s. 2.2.1) schon sehr nahe (vgl. Schaarschmidt 2005, S.27).

Für die Intervention und Prävention von Burnout ist eine Unterscheidung der Risikomuster notwendig.

„Gemeinsam ist den beiden Risikomustern weiterhin das Überforderungerleben. Allerdings – und damit sind wir bei den Unterschieden – ist es ein Überforderungserleben von grundsätzlich verschiedener Qualität. Bei Muster A handelt es sich um Selbstüberforderung durch übersteigertes Engagement, die bei allem Belastungserleben auch noch Aspekte positiver Emotionen den Berufs- und generellen Lebensanforderungen gegenüber erkennen lässt und sich in offensiver Problemauseinandersetzung niederschlägt. Für Muster B sind solch positive Elemente nicht mehr zu finden. Hier beherrschen negative Emotionen das Bild, und die Begegnung mit den alltäglichen Anforderungen ist durch eine passive, resignativ-leidende Haltung geprägt.“ (Schaarschmidt 2005, S.28.)

Schaarschmidt trifft aufgrund der Ergebnisse der Potsdamer Lehrerstudie vier Schlussfolgerungen für notwendige Veränderungen (vgl Schaarschmidt 2005, S.145ff.):

Erstens: Einflussnahme auf die Rahmenbedingungen des Berufs

Die Beanspruchungssituation der Lehrer sticht neben „Helferberufen“ aus den berufsübergreifenden Vergleichen hervor. Schaarschmidt nennt drei Hauptursachen für die Rahmenbedingungen, die überregional und in allen Schultypen von Lehrern als besonders belastend herausgestellt werden:

Das destruktive Verhalten durch schwierige Schüler, die Klassengröße und die Stundenzahl. Diese Faktoren sollen nicht isoliert, sondern in ihrem Zusammen-wirken betrachtet werden, damit deutlich wird, dass die Belastungssituation als Ganzes ihre krankmachende Wirkung entfaltet. Um die Beanspruchungssituation zu verändern schlägt Schaarschmidt folgende Punkte als wichtigste vor:

„Erstens ist der Überforderung der Lehrer durch eine Fülle nicht bewältigbarer erzieherischer Aufgaben entgegenzuwirken. Zweitens sind gezielte Maßnahmen gefordert, die dazu angetan sind, die Identifikation mit dem Beruf und die Berufsmotivation zu fördern.“ (Schaarschmidt 2005, S.146.)

Zweitens: Gestaltung der Arbeitsbedingungen vor Ort

Der Einfluss der Rahmenbedingungen auf Belastungen – so lässt sich aus den Ergebnissen der Potsdamer Lehrerstudie schließen – ist bei jeder Einzelschule unterschiedlich. Der entscheidende Faktor, der hierbei nicht nur schulspezifisch, sondern auch im Allgemeinen für günstige Beanspruchungsverhältnisse in Schulen sorgt, ist nach Einschätzung von Schaarschmidt das soziale Klima der Schule. Zentral ist hierbei ein von Unterstützung geprägtes Verhältnis im Kollegium, das insbesondere durch eine unterstützende und tätige Schulleitung in diesem Bereich zu realisieren ist.

Drittens: Verbesserte Rekrutierung und Vorbereitung des Lehrernachwuchses

Diese Schlussfolgerung präzisiert Schaarschmidt in den zwei folgenden Punkten:

Eine bessere Auswahl der angehenden Lehrer im Hinblick auf ihre Eignungs-voraussetzungen und eine verbesserte Vorbereitung auf die berufliche Praxis durch das Studium. Die Untersuchungsergebnisse weisen darauf hin, dass etwa ein Viertel der Studierenden das problematische Risikomuster B aufweisen. Die festgestellten Defizite, die von einer eingeschränkten Widerstandskraft, über defizitäre sozial-kommunikative Kompetenzen, bis hin zu einem geringen Selbst-vertrauen reichen,

können auch innerhalb der Ausbildung nicht kompensiert werden. Deshalb ist Schaarschmidts Schlussfolgerung, bereits bei der Berufswahl die individuelle Eignung hinsichtlich der Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Karriere als Lehrer, besser zu berücksichtigen.

Die Ergebnisse der Studie weisen darauf hin, dass auch die berufsspezifische Motivation der angehenden Lehrer problematisch ist. Mehr als die Hälfte der Lehramtskandidaten weisen motivationale Defizite im Hinblick auf ihren an-gestrebten Beruf auf, die in Richtung einer Musterverteilung des S-Musters bei Lehramtstutenden gehen.

Daraus lässt sich folgen, dass ein beachtlicher Anteil des Lehrernachwuchses nicht aus fachlichem Interesse und pädagogischer Motivation heraus, sondern aus anderen evtl. pragmatischeren Gründen, wie beispielsweise einem sichern Arbeitsplatz, Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder einem relativ hohem Gehalt, den Beruf des Lehrers anstreben. Das es bei dieser Konstellation zu einer Asymmetrie zwischen Anforderungen und eigenen Erwartungen kommen kann ist naheliegend. Ich werde im Verlauf der Arbeit (s.3.1.1) genauer auf diese Proble-matik eingehen.

Während im Hinblick auf den zweiten Punkt, die bessere Vorbereitung auf den Beruf durch das Studium, insbesondere die Berufskompetenz der angehenden Lehrer fokussiert werden sollte, um in beruflichen Problemsituationen besser gerüstet zu sein. Diese Kompetenzen sotllen in Projekten, Trainingsprogrammen und Supervisionen gefördert werden.

Viertens: Entwicklungsbemühungen der Lehrer selbst

Die persönliche Einstellung zur ständigen Weiterentwicklung der eigenen, berufspezifischen Kompetenzen stellt für Schaarschmidt die wichtigste präventive Maßnahme dar. Diese Einschätzung wird unter der Berücksichtigung der Forschungsergebnisse besonders verständlich,

denn bei den Risikomustern und auch beim Muster B sind verstärkt fachliche und erzieherische Defizite festgestellt worden. Die logische Schlussfolgerung daraus ist, dass ausgeprägte fachliche und erzieherische Kompetenzen dazu beitragen, die bestehenden Beanspruchungsverhältnisse positiver zu bewältigen.

Die Nutzung oder auch die Verweigerung von Fortbildungsangeboten drückt gleichzeitig auch eine Selbstpräsentation der eignen Kompetenzen bzw. Defizite aus. Im gelingenden Fall werden Fortbildungen und Feedback als Ausdruck der professionellen beruflichen Einstellung wahrgenommen, die von einer lebenslangen Lern-und Weiterbildungsbereitschaft geprägt ist.

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